Die Winters

Foto: Rebhandl

DIE WINTERS, Part 1: Mutter Ursula ist 57, es geht ihr gut. Sie gehört der Babyboomergeneration an, „die viel arbeitet und ins Pensionssystem einzahlt“, in Zukunft aber selbst wenig bekommen werde. „Deswegen bin ich auch eine dieser Emanzen!“, lacht sie, „heute gemäßigt, früher radikal auch in dem Sinn, keine Kinder bekommen zu wollen.“

Der Plan freilich ging nicht auf, mittlerweile hat sie zwei Töchter und einen Sohn, bald nach dessen Geburt 2003 war sie Alleinerzieherin. Der Wunsch nach Kinderlosigkeit war der erlebten Ohnmacht der eigenen Mutter geschuldet, die neun Kinder zur Welt brachte und erst ab dem vierten oder fünften zum Beispiel Kinderbeihilfe bekam. Die Abhängigkeit vom „Kindervater“ und „Ernährer“ war vollkommen.

Ursula hatte sechs Brüder, alle durften Moped fahren, sie aber nicht. Überzeugende Begründung: Du bist ein Mädchen! Folgerichtig gelang der „Landpomeranze aus Scheibbs“ mit 14 die Flucht an die Ortweinschule in Graz, wo sie das Fach Design belegte, dort blühte sie auf.

Starke Frauen mit starken Persönlichkeiten in ihrem Umfeld, aber auch solche aus der Kunst beeinflussten sie sehr: Louise Bourgeois, Valie Export, Kiki Kogelnik und insbesondere Maria Lassnig, deren Kantate sie begeisterte: „Mein Elternhaus“, singt sie darin, „das war ein wahres Drama, die Häferl dort, sie flogen kreuz und quer. Das Kind schrie: Bleib am Leben, liebe Mama! Das Kind litt unter diesen Kämpfen sehr.“

Will die Künstlerin also weiter „kämpfen“, den Männern „die Wadln richten“? „Nein!“, lacht sie. „Weil das Sich-gegenseitig-Ausschließen führt auch zu nichts. Das Humane muss im Vordergrund stehen.

Iris

Die Winters, Part 2:

Iris ist gerade 26 geworden, es geht ihr gut. Sie ist schon vor neun Jahren bei ihrer Mutter Ursula ausgezogen und kam in der WG ihrer Schwester Jana unter, nach zehn weiteren Umzügen in Wien lebt sie nun allein.

Heute erinnert sie sich mit Ursula zusammen an die erste Familienwohnung unterhalb der Westbahnstrecke, wo früher der Straßenstrich war: „Klo auf dem Gang mit vier anderen Parteien zusammen; eine Dusche, die unter (Stark-)Strom stand, sehr gefährlich; ein Keller, wo Spritzen herumlagen.“ Aber auch: „Ein Fenster, das Papa und Mama blau angestrichen hatten, das liebten meine Schwester und ich, von dort aus schauten wir immer in den Hof.“ In dem war eine Lackfabrik.

Iris ist Steinbock mit Aszendent Waage, „das schafft Abenteuerlust“, sagt sie, darum nennt ihre Mutter sie auch „die Abenteurerin“. Sie geht gerne mal auf den Schneeberg barfuß laufen, und zwar im Schnee: „Manchmal reiße ich mir dabei die Füße auf. Das zieht dann eine schöne rote Spur. Die Hunde dort werden dieser folgen, und die Hundebesitzer werden nicht wissen, warum. Das würde ich gerne mal filmen, von weit weg“, träumt die Studentin
an der Grafischen, die über manche Hundebesitzer sagt, dass diese sich Hunde als „Liebessklaven“ halten würden. Der Kontakt mit ihnen würde nämlich das Kuschelhormon Oxytocin ausschütten, und das bräuchten viele, weil sie so einsam wären.

Hingegen: „Meine Mama ist die liebste der Welt! Sie schaffte es, mit uns Kindern eine Beziehung aufzubauen, wo es keine Berührungsängste gibt. Wir kuscheln sogar zu Weihnachten immer noch auf einem Haufen zusammen!“ Als Geschenk gibt’s dann Oxytocin ohne Ende.

Jana

Die Winters, Part 3:

Jana ist 28, es geht ihr so halbwegs. Sie ist das älteste Kind von Ursula (Kolumne 29. Jänner), was sie durchaus als „anstrengend“ empfand: „Ich ging die neuen Wege, war geordnet, plante alles.“ Während sie ihre jüngere Schwester Iris (Kolumne 5. Februar) als „crazy wild child“ in Erinnerung hat, das sie um seine Freiheit beneidete.

Dabei lebt Jana selbst nicht gerade langweilig! 2019 war sie für ein Auslandsjahr in Sendai in Japan: „Ich konnte bei einer Roboterstudie mitmachen.“ Die Japanologin (nicht fertig) und Philosophin (Master in Arbeit) kümmerte sich als Research-Assistant um das Design von Experimenten, die den Roboter Nao in Zusammenhang mit Fragen des Rechts, der Moral und der Verantwortung zum Inhalt hatten. Auch ging es um ein Phänomen, das der japanische Robotiker Masahiro Mori schon 1970 als „uncanny valley“ beschrieb, als Phänomen des „unheimlichen Tals“: Sieht ein Roboter zu sehr nach Roboter aus, haben wir Angst vor ihm. Sieht er hingegen zu menschlich aus, ebenfalls.

Japan erlebte die selbstbestimmte Jana als „kollektivistische Gesellschaft, das ganze Leben ist extrem geregelt. Wenn du mal einen Fehler drin hast, ist es schlecht für dich, aber auch für die Gruppe. Andererseits gibt sie dir Sicherheit.“

Als Jana 2020 für die Ferien nach Österreich zurückkam, passierte der globale „Fehler“ Corona: Sie musste wieder bei ihrer Mutter einziehen, was ihr einerseits Sicherheit gab, ihr aber andererseits mit 28 gar nicht taugte. Nao wäre das egal gewesen, denn er ist ja ein Roboter. Aber Jana hat noch Pläne und Träume. Und so fühlt sie sich seither ein bisschen wie in einem „unheimlichen Tal“, in dem nichts so recht weitergeht

Zurück
Zurück

Leo

Weiter
Weiter

Milli X