Beruf: Perückenmacher
Foto: Regine Hendrich für den STANDARD
Seit Jahrzehnten besuchen vor allem Frauen die beiden Geschäfte des Perückenverkäufers Star-Frisuren in Wien, der Anteil krankheitsbedinger Haarausfälle nimmt zu. Eine passende Perücke gibt oft die Lebensqualität zurück, die mit dem Verlust der Haare verloren geht.
03.01.2023
Wer will die Haare schön?
Ganz selten kommen zur Faschingszeit Leute ins Star-Frisuren-Geschäft in der Meidlinger Hauptstraße, die sich eine Peppi nur so zum Spaß aufsetzen wollen. Und manchmal verlangen Damen nach einer Perücke, um typverändert ihren Ehemann beim Fremdgehen zu überwachen. Für die allermeisten aber, die Frau Uschi und Frau Sabine aufsuchen, ist der Weg zu ihnen mit einem ernsten Schicksal verbunden. „50 Prozent kommen wegen Haarausfalls infolge Chemotherapie. Die andere Hälfte wegen altersbedingten Haarausfalls, der berüchtigten Alopecia Totalis.“ Und 90 Prozent von ihnen wären Frauen. Gerhard Wagner, der Chef, erklärt das so: „Wenn ein Mann eine Glatze kriegt, hat er halt keine Haar mehr. Wenn eine Frau eine Glatze kriegt, dann ist das eine Katastrophe.“
Die Katastrophe bahnt sich meist in mittleren Jahren an, und sie betrifft beinahe alle Frauen: „Sie haben das sicher schon einmal erlebt, dass sie in der U-Bahn von oben auf eine Frau schauen, die fast keine Haare mehr hat. Die war noch nicht bei uns!“, lacht Frau Uschi. Und Frau Sabine ergänzt: „Umso älter man wird, umso mehr nehmen die Hormone ab, und umso dünner werden die Haare.“ Meist ginge dem Schritt in ihr Geschäft eine längere Leidensphase voraus. Zuerst versuchen auch Frauen noch – wie die Männer – die wenigen verbliebenen Haare zu legen, oder sie verwenden Härchen, die man hinein streut. „All das ist aber keine Lösung!“, sagt Frau Uschi. Ebenso wenig wie Tinkturen oder Shampoos, die einen Stopp des Haarausfalles versprechen.
Wie schnell sich die Dame dann für eine Perücke entscheidet, hänge vom Grad ihrer Eitelkeit ab. „Und Frauen sind sehr eitel!“, sagt Frau Sabine. „Ich war eine schöne Frau, jetzt kann ich mich nicht mehr anschauen“, hören sie dann oft. „Ich brauche Haare für mein Selbstwertgefühl, für mich selbst, für mein Gegenüber.“ Die meisten Kundinnen sind 60 bis 70 Jahre alt, „in letzter Zeit betrifft es aber auch immer mehr junge Frauen.“ Berühmtheit erlangte während der zurückliegenden Oscarverleihung Jada Pinkett Smith, die wegen ihres „kreisrunden Haarausfalles“ (Alopecia areata) von Comedian Chris Rock verarscht wurde. Ehemann Will Smith watschte ihn dafür ab, denn selbstverständlich liebt er seine Jada Pinkett auch mit Haarausfall.
„Die meisten Männer stehen zu ihren Frauen!“, sagt Frau Uschi. Für die Frauen selbst aber wären die Büschel in den Bürsten kaum zu ertragen. „Ober man steht gut angezogen vor dem Spiegel, und das einzige, was nicht paßt, sind die Haare.“ Wenn Firmen- oder Familienfeiern anstünden, dann steige der Druck.
Kaum eine Dame bringt dann aber ein „Früher“-Foto mit, das sie mit vollen Haaren zeigt. Das sei auch nicht nötig, „denn wir wissen auf den ersten Blick, was sie braucht. Zu 90 Prozent ist die erste Perücke, die wir probieren, die Passende. Das ist Erfahrung und Gefühl, man weiß das einfach.“ Frau Uschi ist seit 30 Jahren im Geschäft, Frau Sabine seit elf. Beide raten zu kommen, bevor die Haare ganz weg sind. Als erstes fragen sie dann, ob man Farbe und Länge behalten oder ab nun grau sein möchte. „Meine Mitarbeiterinnnen sind Friseurinnen“, sagt Gerhard Wagner. Sie können an der Perücke noch alle gewünschten Veränderung vornehmen, aber das kommt selten vor. Außerdem sorgen sie dafür, dass es bei ihnen keine Schwellenangst gibt: „Wir haben Mitbewerber, da steht die tätowierte und flippig angezogene 25jährige in der Blüte ihres Lebens bei der Türe, und dann soll sich die 70jährige bei ihr wohl fühlen?“ Außerdem hätten die oft nur 20 Perücken griffbereit, er hingegen hätte insgesamt 6000 Perücken angeschafft, 2000 für jedes Geschäft, weitere 2000 fürs Lager.
Und alle sind made in Asia. „Die einzigen Perückenknüpfer, die es bei uns noch gibt, sitzen im Theater.“ Für Echthaarperücken, die über 1000 Euro kosten, werde indisches Haar oder solches aus Rumänien und Bulgarien verwendet. Egal aber, wie ebenholzig oder kohlpechrabeschwarz die Haare sind – sie werden gebleicht, bevor sie in der Wunschfarbe gefärbt werden. „Bis auf Grau, das geht nicht.“ Kunsthaare kommen aus Japan. Um die 8000 Einzelhaare werden für eine Vollhaarperücke (ab ca. 390 Euro) mit der Hand geknüpft. „Die perfekte Perücke“, sagt Frau Uschi, „ist eine Mischung aus Handarbeit beim Knöpfen und Maschine beim Nähen“, dann fühle sie sich luftig und leicht an. Die Kunsthaarperücke ändere sich auch nach dem Waschen („Einmal im Monat lauwarm mit Shampoo und Balsam“) nicht, sie springe immer wieder in ihre Frisur zurück, während die Echthaarperücke wieder in Facon gebracht werden müsse. Ein Verkaufsgespräch dauert eine halbe Stunde. Für Damen, die gerade eine Chemotherapie durchmachen und deren Schicksal oft herzerweichend wäre, halten sie zwei Kabinen mit Vorhang bereit, hinter dem sie sich selbst mit der Perücke vertraut machen können. Danach müsse die Perücke „richtig aufgesetzt werden, nicht gerade und nicht zu weit vorne.“
Die klassischen Pannen, die man aus Komödien kennt - der Wind, der durchfährt; das Kind, das hineingreift - gibt es bei modernen Perücken nicht. „Die haben hinten einen Klettverschluss, mit dem man die Größe verstellen kann.“ Unfälle gab es allenfalls, als noch mehr geraucht wurde. „Kunsthaar schmilzt dahin wie nichts.“ Es gibt Kunden, die pro Jahr mehrere Perücken kaufen und eine stattliche Sammlung zuhause haben, „die tragen sie von in der Früh bis in die Nacht“, erklärt Frau Uschi. Wenn man aber nur eine ein Jahr lang durchträgt, dann werde sie von Schweiß, Fett und Dreck stumpf wie richtiges Haar auch.
In letzter Zeit würden sich wieder mehr Damen die alte Perücke servicieren lassen, auch hier merken sie nämlich die Angst vor den steigenden Kosten. Eine Angst, die Frau Gruber noch nicht kannte. „Die war eine ganz zarte Person mit vielleicht 40 Kilo“, erzählt Frau Uschi, „und sie hat bei uns glaub ich fast 200 Perücken gekauft, vor kurzem ist sie verstorben.“ Alle ihre Perücken waren richtig mächtig, voll mit blonde Locken - american Style eben, der ansonste hier unverkäuflich wäre. Darum bestellt Wagner auch nie in Amerika, weil die viel dichter knöpfen. Solche Haarberge sehen hier unecht aus, das wichtigste bei einer guten Perücke wäre aber, dass sie nicht auffällt. Kein Problem mit Auffallen hingegen hätten zunehmend Transgender-Personen - Männer, die sich als Frau fühlen. Nicht wenige von denen kämen mit der Gattin herein und spazierten mit ihr als Frauenpaar wieder hinaus.
Von Sport mit Perücke raten sie ab. „Obwohl ich hab mal einen Kunden gehabt“, erzählt Frau Uschi, „der hat mich gefragt, ob die Peppi hält, wenn er damit einen Handstand macht. Sag ich: Das kann ich Ihnen nicht versprechen. Also hat er genau da herinnen einen gemacht!“ Und hat sie gehalten? „Na freilich!“ Die Perücke paßte dann wohl perfekt zu seiner Kopfgröße. Was die angeht, weiß Gerhard Wagner: „Am Balkan haben die Menschen größere als in Österreich, unsere Köpfe sind eher klein.“ Richtige Plutzer gibt es also erst ab südlich der Steiermark, was manch heimischem Großkopferten die Haare zu Berge stehen lassen wird.
So er noch welche hat.
(1.11.2025 im STANDARD)