Zitatforscher Gerald Krieghofer

Foto: Heribert Corn für den STANDARD

Alles Halbwahrheiten

Mit falschen Zitaten wird herumgeworfen wie mit Steckerln auf der Hundewiese. Der Wiener Philosoph und Karl-Kraus-Experte kennt die wahren Hintergründe - ein Gespräch.

Ort: Café Weidinger, Wien

21.01.2024 im DER STANDARD


Ringelnatz oder Morgenstern? Hauptsache Tucholsky!

Als er in den 1980er Jahren nach abgebrochenen Studien im Serapionstheater arbeitete, begann schon etwas in Gerald Krieghofer zu arbeiten, was ihn später zu seiner Berufung als Zitatforscher führen sollte: „Wo viel Licht, da viel Schatten“ war ein Sprichwort, das er im Theater auf seinen Wahrheitsgehalt hin prüfen konnte, und siehe da: „In Wahrheit ist doch viel Schatten, wo wenig Licht ist!“, sagt er. Er musste aber erst in der Akademie der Wissenschaften zu arbeiten beginnen, um über die Forschung am großen Karl Kraus so richtig in die Sache hineinzukippen. Dort saß er dann nämlich häufig im Archiv und stolperte irgendwann über Sätze wie den, dass er, Kraus, lieber gar nicht nachgedruckt werden wollte als mit einem falschen „Satzzeichen“. Korrekt aber hat er „Beistrich“ gesagt, was vielen anderen, die etwas legerer mit Sprache umgehen, wurscht sein mag, ihm aber eben nicht.

So begann sich Krieghofer (69) dafür zu interessieren, mit wie vielen entstellten oder fälschlicherweise Karl Kraus zugeordneten Kuckuckszitaten Gelehrte, Journalisten oder Lokalpolitiker bei der Gemeindratssitzung um sich werfen. Mittlerweile sind es stolze 51, darunter Postkartenklassiker wie „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten“, der erstmals 1974 in einer Zitatensammlung dem Meister zugeschrieben wurde. Der Satz stammt aber – was wiederum zunächst der Berlinder Historiker Julian Nordhues nachweisen konnte - von Robert Scheu, einem ehemaligen Mitarbeiter von Kraus, der sagte: "Wie tief ist die Sonne unseres Zeitalters gesunken, wenn solche Pygmäen solche Schatten werfen!" Scheu wiederum drüfte sich entweder bei einem Schweizer Sprichwort ("Ein kleiner Mann macht oft einen großen Schatten"), bei einer Zeile von Friedrich Rückert ("Lange Schatten warfen Zwerge") oder bei Alfred Polgar ("In Todes Nähe werfen auch ... dürftige Menschen ... imponierend breite Schatten") bedient haben. Auch das Kraus zugeschriebene  Aperçu „Was Deutschland und Österreich trennt, ist die gemeinsame Sprache“ konnte Krieghofer in keiner seiner Schriften finden, und wer heute irgendwo Gscheiterl-Sätze wie „Was trifft, trifft auch zu!“ oder „Manche Aussagen sind so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil wahr ist“ liest  - auch nicht von Karl Kraus!

Bald merkte Krieghofer aber, dass er es keineswegs mit einem Karl-Kraus-Spezifikum zu tun hatte, sondern dass mit falschen Zitaten herumgeworfen wird wie mit Steckerl auf der Hundewiese. Und hat nicht jeder von uns schon einmal am Wirtshaustisch mit „Religion ist Opium für das Volk!“ gegen die Religionen angeschrien und sich dabei auf Karl Marx berufen? Selbst Philosophen, sagt Krieghofer, würden diesen Satz nach wie vor interpretieren, obwohl Marx ihn so nie geschrieben hat. Er schrieb nämlich vom „Opium des Volkes“, noch dazu eingebettet in einen längeren Satz, „und das macht einen großen Unterschied!“ Denn, so meint er entschieden, wenn man Gedanken ernst nehme, dann gehöre Genauigkeit dazu, und das Gegenteil von Genauigkeit wäre das blumige Interpretieren von Gedanken. „Es gibt eine weit verbreitete philologische Unredlichkeit“, sagt er, und Moraltheoretiker meinten oft: „Wahrhaftig wollen die meisten sein. Aber dass zur Wahrhaftigkeit auch Genauigkeit dazu gehört, das unterschreiben schon nicht mehr alle.“

Freilich wird die Sache nicht besser, wenn man sich von den philosophischen Fakultäten oder anderen Orten des Geistes wie den Schreibstuben der Journalisten entfernt. Auch bei Freunden stellt er fest, dass diese oft unfähig wären, einen gelesenen Artikel mit größter Genauigkeit nachzuerzählen, stattdessen dränge sich schnell das Element der Phantasie an die Stelle der Genauigkeit. Im Freundeskreis hat er sich mehr oder weniger daran gewöhnt und findet das sogar amüsant, jedoch stört es ihn bei den „Profis“, den Journalisten zum Beispiel, die sich mit ihm zusammen auf Twitter tummeln. Gerade bei denen wäre die Gefahr immer sehr groß, dass sie ihren oft nächtlichen Ausführungen mit  „…. Wie schon Tucholsky/Einstein/Goethe sagte!“ Autorität verleihen wollen, und gerne passiere das auch in den Kolumnen mancher doch nicht so großer Geister, die ihre von rechten Seiten gespeisten Ansichten in ihrem Boulevardblattl mit genau diesem Satz beenden. „Die kennen da einfach keine Scham“, sagt Krieghofer, was ihn aber dann nur noch mehr anspornt, manchem in die Parade zu fahren.

Auf Twitter, wo er das am liebsten tut, nennt man ihn daher mal respektvoll, mal abschätzig „Zitatjäger“. Dabei fühlt er sich am ehesten als jemand, der „aufräumt“, als „Cleaner“ also wie der von Harvey Keitel gespielte Winston Wolf in Tarantinos Pulp Fiction. Viele wären anfangs natürlich irritiert, wenn er sie darauf hinweist, dass sie falsch liegen mit ihrem Zitat oder der Zuschreibung, bedanken sich dann aber doch artig dafür. Es gebe allerdings auch welche, die verärgert sind und mit der klassischen Frage der Genervten kontern: „Sie wissen wohl alles besser?“ Und dann gebe es noch die gar nicht so wenigen Frohnaturen, die sagen: „Wie können Sie überhaupt so schrullig sein und auf den Autor achten, es geht doch um den Spruch!“

Er aber bleibt natürlich schrullig bzw. forscht weiter: „Wenn man in den digitalisierten Werken oder in Nachschlagwerken nichts Verlässliches über ein Zitat findet“, erklärt er seine Vorgehensweise, „dann ist es wichtig, chronolgisch zu suchen, und zwar nicht fixe Worte,  sondern Satzbestandteile.“ Dabei dürfe man natürlich nicht nur Google Books durchackern, sondern müsse sich zum Beispiel in die Zeitungsseiten der Österreichischen Nationalbibliothek vertiefen, welche „die beste Zeitungssammlung im deutschen Sprachraum“ wäre. Obendrein hätte er sich in der Karl-Kraus-Forschung ein gutes Netzwerk aufgebaut, und auf Twitter wird er mittlerweile von Bibliothekaren unterstützt, die ihm als große Hilfe bei der Suche zur Seite stehen. Ein Beispiel?

Praktisch alle würden meinen, dass „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ chinesischen Ursprungs sei. „Dabei ist der Satz erstens in den 1970er Jahren in New York für eine Werbung verwendet worden, hat er zweitens sogar österreichische Wurzeln, die 100 Jahre alt sind, und gibt es ihn drittens natürlich auch in der Version ‚Ein Blick sagt mehr als 1000 Worte‘.“ An einem entsprechenden Artikel, mit dem er den Ursprung dieses Zitates „konstant nachweisen“ kann, arbeitet er noch,  und wenn er nachts bei seinen Forschungen nicht weiter kommt, dann könnte man ihm ja raten: „Wer  Sorgen hat, hat auch Likör!“, was ein Brauch von alters her ist. Jedenfalls, wenn man Wilhelm Busch glauben mag, der das so in seiner Frommen Helene formuliert hat.

Alkoholzitate sind seiner Erfahrung nach übrigens meistens ziemlich korrekt, während Zitate, in denen das Wort „Wahrheit“ vorkommt, sehr oft gelogen und unkorrekt wären. Nur „Das Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken“ ist halt dann doch nicht von Goethe, sondern entstammt einem deutschen Witz aus den 1960er Jahren. Und in England ist der Spruch in der Abwandlung mit „Beer“ bereits seit 1880 bekannt.

Was erbauliche Lyrik angeht, hat Krieghofer auch manch Enttäuschungen für uns Halbgebildeten parat: So klinge „Dunkel wars, der Mond schien helle“ zwar extrem schön, stammt aber weder von Morgenstern noch von Ringelnatz, denen die Worte wahlweise zugeordnet werden. Der Satz ist vielmehr der Anfang eines Nonsens-Gedichtes aus dem 19. Jahrhundert, das es obendrein in zahlreichen verschiedenen Variatonen gibt. Warum aber schreibt man es dann trotzdem so hartnäckig den berühmten Versschmieden zu? „Weil wir einfach nicht glauben wollen, dass ein unbekannter Mensch so etwas Schönes in einem hellen Moment seines Lebens schaffen konnte, man denkt: Das muss doch von einem Genie stammen.“  Wer „Vergebung ist der einzige Weg, den Fluß umzukehren“ dichtete, war allerdings kein Genie, weil ein Fluß schlicht unumkehrbar fließt, auch wenn man diesen Schwachsinn dann fälschlicherweise Hannah Arendt umhängt. Und noch einmal Genie: „Der Fußballer Andi Möller hat zwar ein paar unsinnige Sache gesagt, aber Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“, stellte er schon 2013 klar, „garantiert nicht!“

Manchmal nennt Krieghofer sich nach all den Jahren auf Twitter auch „Trottelforscher“, wobei „Dummheitsforschung“ ein altes philosophisches Gebiet und also nichts Verwerfliches wäre. Früher hätte man beim Stammtisch ein Tonband mitlaufen lassen und es mühsam transkribieren müssen, heute finde sich eben manch „Trotteliges“ in den Onlien-Foren: „Ein sehr einflussreicher Standard-Poster schrieb einmal: ‚Wie schon Thomas Bernhard sagte – Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapfen, außen rot, innen braun, und immer ein bisschen betrunken.‘“ In Wahrheit wäre das aber ein Kärntner Witz aus den 1970er Jahren, landete jedoch, kaum gepostet, bei den Bernhard-Zitaten auf Wikipedia. Und selbst auf „Qualitätsmedien“ wäre heute kein wirklicher Verlass mehr, wenn es ums korrekte Zitieren ginge: „Der SPIEGEL ist zwar stolz auf sein Archiv, aber ‚No sports!‘ stammt trotzdem nicht von Churchill, auch wenn es 50 Mal so dort steht.“ Und überhaupt: „Falsche Zitate werden nicht von der Ganzen Woche oder wie die heißt verbreitet, sondern von ZEIT oder FAZ, denn wenn es dort einmal drinnen steht, dann übernehmen es Journalisten, als wäre die Quelle der Brockhaus.“

Immer öfter wird er längst auch selbst als eine Art wandelndes Nachschlagewerk kontaktiert: Wenn ihn zum Beispiel am Nachmittag die Moderatorin einer Abendsendung fragt, ob sie das Zitat im Abspann bringen kann, ohne sich lächerlich zu machen. Ob ihn das nicht auch ein wenig stolz, gar eitel mache? „Naja“, lacht er. „Tatsächlich gebe ich inzwischen ganz gerne an!“, was mindestens seiner Tochter schon aufgefallen wäre, „die gut im Jusstudium unterwegs ist“. Die jungen Leute, weiß er nicht zuletzt durch sie, würden auch längst mit anderen Zitaten um sich werfen, als wir Alten sie kennen: „That´s what I do. I drink Coffee, I read and I know things“ komme einem auf Social media heute überall entgegen, und wer entsprechend gebildet ist, der wisse sofort, dass der Satz aus Game of Thrones stammt. Irgendwann in 200 Jahren wird aber auch der zu einem Kuckuckszitat verwursten worden sein, und irgendein Kolumnist wird schreiben: „Wie schon in House of Cards gesagt wurde: That´s what I do…. .“Beim Heimgehen treffen wir noch Rebecca, Tamara, Beatrice, Chayenne und Sabrina aus der Donaustadt, auf die vielleicht der Wolfgang in seinem Kilt gerade zunavigiert, um das Eis zu brechen, und noch während der ganzen Heimfahrt drängen in die Gegenrichtung "Madeln" in ihren wunderschönen Trachten, auf die man als Österreicher ruhig auch mal stolz sein darf.

https://www.derstandard.at/story/3000000203834/zitatjaeger-gerald-krieghofer-raeumt-mit-den-halbwahrheiten-auf

Zurück
Zurück

Erika Pluhar - Happy Birthday!

Weiter
Weiter

Beruf: Zeitungskolporteur