Modellbau
Foto: Christian Fischer
Kleine Autos für große Menschen.
Über die lässigen Leute der Modellbaugruppe 20
23.11.2019 im www.derstandard.at
Letztes Wochenende nahm Andreas noch an einer Trial-Veranstaltung in Belgien teil. Zusammen mit seiner 12jährigen Tochter Laura bildete er beim Ausdauerwettbewerb ein „Familienteam“. Zwölf Stunden lang lenkten sie mithilfe einer Fernsteuerung ihre „Scale Model Trucks“ (maßtstabgetreue Miniaturmodelle) über einen unwegsamen Parcours mit bis zu 65 ° Steigung. Weil er die kleineren „Performancereifen“ aufgezogen hatte, blieb er dabei öfter mal hängen. Dann schob Laura ihn an, oder half ihm mit der Seilwinde zurück auf die Strecke. Dass die Tochter ihr Modell mittlerweile besser lenkt als der Vater seines, das will Andreas nicht gerne zugeben, er gesteht es dann augenzwinkernd aber doch ein. „Am technischen Verständnis fehlt es ihr halt noch ein bisschen, aber vom Fahrkönnen her …“
Andreas wechselt die Reifen an seinem Traxxas Mercedes-Benz TAX6 G63, einem Scale Model des deutschen Offroaders im Maßstab 1:10. In Groß bewirbt der Hersteller dieses Monster mit The declaration of Independence und verlangt dafür schlappe 450.000 Euro. In Klein ist es aus der Schachtel heraus um 749 Euro zu haben ist. Mit einem Miniatur-Kreuzschlüssel lockert der 32jährige die Radmuttern. ORF-Rennsportlegende Heinz Prüller würde die Szene vielleicht mit „Der Österreicher gibt die weicheren Performancereifen mit den speziellen Einlagen und dem aggressiveren Profil zurück in seinen Kasten!“ kommentieren, um ein bisschen Nachdrücklichkeit in die Szene zu bringen. Denn eigentlich ist die Luft raus an diesem kühlen und windigen Novembersamstag in Spillern bei Wien, wo die Modellbaugruppe20 ihren 3000 m2 großen Parcours betreibt. Belgien war für heuer der letzte Wettbewerb für Andreas, jetzt kommt mit dem Winter auch für ihn wieder die Zeit des Bastelns, Justierens und Tüftelns in seinem Keller, um die insgesamt 17 Modelle im kommenden Frühling möglichst konkurrenzfähig wieder über die Parcours bei den Rennen in ganz Europa steuern zu können.
Schriftführer des Vereins ist Stefan Menzel, der 15jährig von seinem damals besten Freund mit dem Modellbauvirus infiziert wurde, am Anfang bauten die HTL-Schüler Schiffe. Während ihrer Freizeit oder auch gerne im Unterricht kritzelten die angehenden Techniker Skizzen auf Zetteln und tauschten sie aus. Zuhause wurden in Baukastenmodelle Motoren und Elektronik eingebaut. Mit glänzenden Augen erinnert er sich an die Renovierung einer alten Motoryacht, die sein Opa gebaut hatte, aus einer Handvoll Holz und ein paar Messingteilen. Stefan hat sie „ein bisschen in das neue Zeitalter geholt. Früher waren die Fahrregler mechanisch, ich habe einen elektronischen eingebaut.“ Der Moment, als er das Boot in einen Teich bei Ebreichsdorf ins Wasser setzte, war erhebend.
Danach versuchte er sich an einem „Sumpfboot“, wie sie in den Everglades in Florida unterwegs sind, mit einem großen Propeller hinten dran. „Ist aber maßlos in die Hose gegangen!“ Er probierte eine Rennyacht, die übermotorisiert und viel zu schwer war. Einem Segelboot verpasste er einen 1,60 Meter hohen Mast. Ein Rennboot mit 80 cm Länge schickte er in die Ufermauer, sodass es sank. Die größten dieser Bootsklasse sind auch mal doppelt so lang und Offshore Katamaranen nachgebaut, die in echt mit 2000 PS über die Wasseroberfläche rasen. Aber rasen interessiert Stefan nicht, ihn interessiert das Bauen.
Nach den Booten widmete er sich ein paar Jahre lang den Modellfliegern, „meistens aus Styropor, weil die einfach zu bauen und einfach zu reparieren waren.“ Parallel zu den Fliegern fing er mit Modellautos an. Weil er Gemeinschaft mag, suchte er sich einen Club mit Gleichgesinnten und fand einen zehn Minuten von seiner damaligen Wohnung. Es war aber ein Rennclub mit normalen Flachbahnen, wo es wieder ums Rasen ging. Und Rasen interessiert Stefan nicht.
Er war also bei der Gruppe dabei, die sich damals abspaltete und in Richtung „Scale Truck“ entwickelte: Offroad-Rennen, bei denen es um technisch präzises Fahren geht. Wer sich gerne abseitigen Sport im Fernsehen anschaut, der sieht dort manchmal Pinzgauer oder Unimogs unfassbar langsam durch Schlamm und Dreck und über Stock und Stein fahren, zwischen Toren hindurch, auf Zeit und möglichst ohne Fehler. Das machen die Scale Trailer mit ihren Modellen auch. Die Reglements dafür können schon mal 15 Seiten und mehr umfassen, bis ins kleinste Detail ist geregelt, wie sie nachgebaut werden müssen. Vor den Rennen gibt es eine „Abnahme“, dann darf an ihnen nichts mehr geändert werden. Während der sechs Wettbewerbe, die der Club pro Jahr veranstaltet, gilt die Regel: Wenn du dein Auto angreifen musst, um es wieder auf die Räder zu stellen, kriegst du 50 Strafminuten. Oder du probierst mit den anderen im Team, das Auto zu bergen. Andreas erzählt: „Einer fährt, einer charged: Wenn du links fährst, könntest du besser die Spur halten….“
Es sind genau solche Herausforderungen, die Andreas und Stefan begeistern. Hauptsächlich verwenden sie dafür Pistolenfernsteuerungen, die grundsätzlich zwei Kanäle haben: Fürs Lenken und Gasgeben. Der G63 von Andreas aber hat schon ein zwei-Gang-Getriebe und eine Differenzialsperre, für die er weitere Kanäle benötigt. Und eine zweite Seilwinde. Andreas ist so gut, dass er Teamfahrer eines Herstellers ist, der ihm die neuesten Modelle früher als anderen zur Verfügung stellt, plus die besten „Performancereifen“ für seine insgesamt 15 Autos. Jetzt, im Winter, wird er Modifikationen an ihnen durchführen, um sie auf einem Brett im Keller, der sich mit Pokalen, Urkunden und Sachpreisen füllt, für 70 ° Steigungen fit zu machen. Da kippen sie dann aber meistens um, gesteht er. Außer vielleicht, es fährt seine Tochter.
Im alten Rennclub, erzählt Stefan, haben sie sich fast zerstritten, weil überall, wo Männer dabei sind, das Konkurrenzverhalten im Vordergrund steht. Die anderen Mitglieder waren nicht kooperativ, eher im Gegenteil. Hatte einer etwas an seinem Modell verbessert, teilte er sein Wissen keinesfalls mit den anderen. Hier fahren sie zwar auch Rennen, aber klassisches Rennverhalten ist nicht gewollt, der Spaß steht im Vordergrund. Es gibt für die ca. 70 Mitglieder keine Jahreswertung und kein Preisgeld. Und sogar die Strecke haben sie extra so gebaut, dass sie keinem Reglement entspricht, wodurch erst gar keiner fordern kann, hier jemals eine Rennklasse machen.
Dafür gibt es so etwas wie Lagerfeuerromantik, wenn sie abends vor dem Clubgebäude im Freien sitzen und immer wieder über besondere Momente reden: „Weißt du noch, wie ich dich mit der Seilwinde …?“ Über Foren treffen sie sich an schönen Wochenenden zu Wanderungen, dann gehen sie mit ihren Fernsteuerungen hinter ihren Modellen her, denen sie im möglichst steilen Gelände alles abverlangen. Dabei tauschen sie Erfahrungen aus, verändern die Dämpfer, geben sich Tipps. „Wir sind nicht so ehrgeizig wie die Flachbahnler“, sagt Andreas.
Der Parcour in Spillern wächst von Jahr zu Jahr, jeder kann etwas zur Verschönerung beitragen, sogar ein Originalnachbau der Martinekskaserne in Wiener Neustadt steht hier, direkt vor der Grube mit den Panzern. Militärmodelle sind eine Unterabteilung des Modellbaus, zu der Stefan nicht so viel einfällt. Josef, 70, hatte bis vor kurzem einen Sherman-Panzer, erzählt er mir, aber irgendwie ist Öl in die Kupplung gekommen, und jetzt lenkt er hier einen Buggy über das Gelände. Mit 56 er fing er an, Motorrad zu fahren, seine 600er Honda Rennmaschine jagte er über die Kurse von Brünn, Spielberg oder Rijeka. Bis er sich bei einem Highsider (Überschlag nach vorne) den fünften und sechsten Halwirbel verschob. Weil ein Mann aber ein Spielzeug braucht, schloss er sich dem Modellbauclub an, dessn Prunkstück mit Stefan noch zeigt:
Einen gelben LKW mit Elektromotor samt Anhänger, der hydraulisch kippt. Den haben er und der Onkel seiner Frau vor zwei Jahren für das Finale der TV-Sendung „Die Modellbauer“ des deutschen Senders DMAX angefertigt. Sechs Monate hatten sie Zeit, 2000 Arbeitstunden haben sie hineingesteckt an der Fräse, der Drehbank und dem 3-D-Drucker. „Materialaufwand: 2.500 Euro“, sagt er. „Alleine für das Interieuer, den Fahrer am Sitz, die beleuchteten Armaturen brauchten wir 40 Stunden mit Pinseln, Stecknadeln, Pinzetten.“ Die Hydraulik mit Zylinder und Pumpe – Eigenbau. Bis er kurz vor dem Abgabetermin in Dortmund fast die Nerven wegschmiß, weil die Elektronik gesponnen hat und er einfach nicht wusste, warum. Er fand keinen Fehler, sagte zum Onkel der Frau: „Da hast, mach du!“ Am letzten Tag vor Abreise musste er einen Tag Urlaub nehmen, und am Ende schafften sie es doch noch zum Finale. Das andere Team trat gar nicht an gegen sie, aber die Jury sagte, mit den vielen Details an ihrem Modell wären sie ohnehin unschlagbar gewesen.
Das sind die Momente, für die sie leben.