Briefmarken Sammler

Die Letzten ihrer Art

Heute ist richtig was los beim Verband Österreichischer Philatelistenvereine (VÖPh) am Wiener Getreidemarkt. Eine Dame von der Post hat um Punkt 14 Uhr Platz ihr Sonderpostamt aufgesperrt, um bis 18 Uhr ausgegebene ME3-Blöcke zu stempeln. Vor der Türe wartet bereits Paul Nowak, der, wenn man so will, ein typischer Vertreter des klassischen Briefmarkensammlers seiner Generation ist.

Der 82jährige setzte ab 1960 seine Sammlerschwerpunkte auf UNO und Wien, wofür er bei der Post entsprechende Abos abschloß: "Da brauch ich mich um nix kümmern, die Marken kommen und ich ordne sie einfach ein!“ Um die 3800 Motive, sagt er, hätte die Österreichische Post seit Einführung der Briefmarke 1850 herausgegeben, er selbst hat alle ab der Nummer 50. Seine Freunde nennen ihn deswegen „Geldvernichter“, denn finanziellen Wert hätte das alles keinen: „Wenn ich davon welche verkaufen wollt’, müsst’ ich dem Käufer noch Geld nachschmeißen!“ Andererseits: „Ich hab mit dem Schmarrn halt angefangen!“ Und jetzt kann er damit nicht mehr aufhören. Die Kinder aber werden ihm seine Sammlung nicht abnehmen: „Der eine Sohn sagt: Voda, wos mach i mit dem Schaaas?“ Dem antwortet er: „Na gut, dann geb ich’s halt deinem Bruder.“ Der meint: „Okay, ich geb’s meinen Kindern.“ Für die aber hat er bereits eigene Sammlungen. Gerade ist er dabei, seinen 13. Lindner-Ordner mit Marken zu füllen, alle feinsäuberlich in Klarsichtfolien.

Alfred Graf, 85jähriger Obmann der Region Wien, kennt solche Sammlerschicksale zur Genüge: „Alle, die Schwerpunkt Zweite Republik Österreich gesammelt haben, sind um ihr Geld mehr oder wenigr umgefallen. Obwohl die Briefmarke von der Post nach dem Krieg als Investition propagiert und als Aktie des Kleinen Mannes vermarktet wurde.“ Damals lagen die Erstauflagen bei drei Millionen je Motiv, heute bei höchstens 150.000.

„Im Prinzip gibt es kein Thema, das nicht auf Briefmarken abgebildet ist“, weiß Helmut Kogler, Präsident des VÖPh. Der 72jährige sammelt Handballmotive, weil er selbst einmal auf höchstem Niveau gespielt hat, seine Kinder sammeln Pferde- (die Tochter) oder Pfadfindermotive (der eine Sohn). Als 14ähriger kaufte er sich eine Schweizer Sammlung, die ihn sein gesamtes Taschengeld für ein Jahr gekostet „und einen Wickel mit dem Papa eingebracht hat!“ Mit 18 ließ er das Sammeln bleiben. Die nächsten 15 Jahre lag alles in einer Bananenschachtel, bis seine Frau sie entdeckte: „Mah, das ist so ein schönes, ruhiges Hobby“, meinte sie. „Bitte tu damit weiter!“ Heute, lacht er, bereue sie es ein bisserl, denn der Zeitaufwand sei enorm.

Auch, weil die Briefmarke nur ein Schwerpunkt innerhalb der Philatelie ist, „die das systematische Sammeln von Postwertzeichen sowie von Belegen für ihre Verwendung auf Postsendungen jeglicher Art umfaßt“ (Wikipedia). „Und jetzt vergessen’S bitte einmal die Zahlen!“, sagt Graf, und er meint damit Fragen wie: „Was ist die Marke wert? Wie viele haben Sie?“ Das alles wäre uninteressant. Buchautor Schubert ergänzt: „Philatelie wird immer mit wertlos einerseits oder enormen Werten andererseits in Verbindung gebracht. Interessant ist aber der Bereich dazwischen!“ Dabei könne man Sonderstempel, Ersttagsstempel, Automaten- oder Dispensermarken sammeln. Mancher spezialisiert sich auf alte Briefe oder Vorphilatelistisches, Erste Republik oder Reko-Zetteln. Andere sind Papier- oder Wasserzeichenenthusiasten. Wieder andere suchen mit der Lupe nach Plattenfehlern bei den Drucken oder Zähnungsverschiedenheiten, nach abgeschleckten oder unberührten Gummierungen. Finden tut man das alles natürlich nicht mehr in den abgegriffenen Schachterln der Tandler, sagt Schubert, denn: „Die sind alle 248 Mal durchwühlt!“. Online-Auktionen hingegen wären zunehmend interessant, seit Corona hier ausnahmsweise mal durch die Verlagerung ins Netz etwas Gutes bewirkt hätte.

Graf steht dem Wiener Verband seit 2010 als Obmann vor, und seit damals, sagt er, musste er 13 Vereine auflösen - „Traurig, traurig!“ Österreichweit gebe es noch ca. 200 Vereine und Sektionen mit ca. 7000 Mitgliedern, was im internationalen Vergleich viel wäre. Bei der Vindobona, „einem der ältesten aktiven Briefmarkenclubs der Welt“, sammelt ein 104jähriger, das Durchschnittsalter der Sammler liegt bei 75. Der Sekretär des VÖPh, Friedrich Windbichler, ist mit seinen knapp 50 Jahren der Jüngste, hat aber auch schon 200 volle Mappen. Die Philatelie insgesamt leidet also sowohl unter Frauen- als auch Nachwuchsmangel. Noch in den 70er Jahren, weiß Graf, gab es alleine in Wien-Favoriten 30 Schülergruppen, die sich in der Knöllgasse, der heutigen „Problemschule“, zum Austausch trafen. Ach, ist man versucht zu sagen: Würden die Kinder doch wieder Briefmarken sammeln!

Graf selbst kam zum Sammeln, als er 14jährig das Album seines Vaters zu Boden schmiss und es zur Strafe sortieren und wieder einräumen musste – „Selbstverständlich mit Pinzette!“ Danach hat er praktisch nicht mehr aufgehört zu sortieren und einzuräumen, denn die Briefmarke sei für ihn „Transporteur und Zeuge von Kultur und Zeitgeschichte.“ Außerdem interessiere ihn die Grafik, „die teils kleinen Kunstwerken gleicht.“ Und dabei seiner Erfahrung nach Folgendes verrate: „Je mieser es den Leuten ging, desto schöner waren die Marken.“

Buchautor Wolfgang Schubert ist u. a. auf Reko-Zettel spezialisiert – die österreichische Bezeichnung für einen Rekommandationsbeleg beim Einschreiben. Mit 20 wollte er von jedem österreichischen Postamt einen Beleg haben, dieses Vorhaben erwies sich aber als nicht realisierbar. Also konzertrierte er sich auf die Postämter Wiens, die ab 1892 bis Ziffer 157 durchnumeriert wurden, und besagte Zettel. In seinem mit Kollegen Sanbach herausgegeben Buch finden sich nun zahlreiche Belege (Briefe, Postkarten, Postbegleitkarten, Geldbriefe…), die er als „Zuckerl“ bezeichnet und für die er durchaus auch ordentliche Summen bezahlt hätte. „Und manchmal auch zu viel!“ Für ihn sind solche Belege „Geschichte zum Anfassen“, etwa jene Karte von Marie Valerie, der vierten Kaisertochter, die sie an den Erzieher ihrer Kinder schickte und die nun in einem der Schaukästen in den Verbandsräumlichkeiten ausgestellt ist.

In diese verirrt sich am Ende doch noch eine Frau: „Die Oma ist viel gereist und hat uns von überall Postkarten geschickt“, erzählt Sybille, die nun Motive ihres Spezialgebietes Flora und Fauna sammelt. Allerdings: „Ich bin Postcrosserin! Das ist so ein Internet-Ansichtskartenspiel, wo man sich registrieren muss und dann Postkarten um die Welt schickt oder erhält.“ Obmann Graf hat für solch moderne Auswüchse freilich nichts übrig, er redet lieber von Früher: „Von der Front in die Heimat und von der Heimat an die Front wurden täglich sechs Millionen Postkarten verschickt.“

Dass auch wir heute noch wissen, was auf manchen dieser Karten stand, verdanken wir den Sammlern.

www.voeph.at

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“Siebene, Ochte, Neine – Hoiz! Hoiz! Hoiz!“