Martin
Foto: Rebhandl
Martin ist 59, es geht ihm sehr gut. Ich treffe ihn im Bezirksalten- und Pflegeheim, wo ich am Nachmittag des sogenannten Heiligen Abends die Weihnachtsfeier besuche. Pfarrer Gerhard Maria Wagner betet den Rosenkranz mit den Bewohnern, dazwischen spielt Martin mit seiner „Stubenmusi“, die aus vier Leuten besteht, die Weihnachtslieder, das ist sehr schön. Martin bedient dabei die Harmonika, die er erst mit 19 begonnen hat zu lernen. „Das ist sehr berührend heute“, sagt er, nachdem sie lange nicht hier gespielt haben, aber heute ist eine Gruppe ausgefallen und sind sie gerne eingesprungen. „Es ist schon gut, wenn man das Repertoire vorher ein bisserl auffrischt“, sagt er, der sein Instrument auch bei Stille Nacht mit einiger Inbrunst spielt, fast wie einer aus einer Cajun Band im Mississippi Delta. Dabei kommt er aus Vorderstoder, wohin er dann gleich noch fahren muss, in ein Hotel, das ihn und die seine für die Gäste gebucht hat, nicht für „Saufmusik, sondern für schöne Stubenmusik im Hintergrund.“
„Man kann auch bei Weihnachtsliedern a wengerl den eigenen Groove einibringa“, sagt er, „des merkt man daunn, wenn die Leit a wengerl mitgengan.“ Ein Musiklehrer von ihm, ein Professor an der Anton-Bruckner-Universität in Linz, hat mal zu ihm gesagt: „Musik ist ja nur dann Musik, wenn sie die Seele des Publikums und der Spielenden erreicht, die Technik alleine bringt gar nichts.“
Martin macht sich dann auf nach Vorderstoder, während ich meine Mutter zu ihrem Zimmer bringe. Auf dem Weg dorthin treffen wir den Eggl Walter, der unser Nachbarbub war, zusammen mit seinen Brüdern Willi und Wolfi und seinen Eltern Frieda und Godl lebten sie in einem Steinhaus mit zwei Räumen und ohne fließend Wasser. Der Godl ist dann bald gestorben, der Willi auch, das Haus wurde abgegerissen, und die Familie zerstreute sich. Nun lebt sein hundertjähriger Schwiegervater in dem Heim, in dem auch meine Mutter lebt, und kaum schüttelt er ihr die Hand, schaut sie, die dement ist und kaum noch jemanden kennt, ihn an und sagt: „Servas Walter.“
Er hat wohl ihre Seele erreicht.