Beruf: Drehorgelspieler

Foto: Heribert Corn für DER STANDARD

Seit 40 Jahren ist Franz Reinhardt Obmann der Wiener Drehorgler. Dem STANDARD erzählt er von alten Liedern und seinem gelungenen Leben. Ein Besuch im Böhmischen Prater


"Waunn i mei erste Drehorgel gesehen hab? Als Kind wahrscheinlich! Wo? Na da heroben! Ich bin ja praktisch auf­gewachsen im Böhmischen Prater. Wie ich noch in die Schul gegangen bin, haben wir da auf den alten Kegelbahnen die Kegeln aufgestellt, die Bahnen waren aus Lehm. Da haben wir ein paar Groschen gekriegt und dann ins Kino gehen können, auf der Quellenstraße ins Hubertus-Kino. Gibt’s heute nimmer, Kinos gibt’s überhaupt fast nimmer im Zehnten. Ob das eine Leidenschaft war? Na, wir sind halt gern ins Kino gegangen!

Jede Gasse haben wir in- und auswendig gekannt, das war eine andere Zeit. Heute ist alles verbaut, früher hat es viele Gärten gegeben, da haben wir immer das Obst gegrapscht, und wenn uns einer erwischt hat, hat es eine auf die Birn gegeben, das war halt so. Wir haben uns bewegt am Laaer Berg und in Kreta, das Viertel heißt immer noch so. Da ist gerauft worden, aber wennst einen niedergehaut hast, hast nachher ein Bier mit ihm getrunken. Heute treten sieben auf einen hin. Ich? Ich hab immer nur zugeschaut, ich bin ein Engerl.

Arm waren wir nicht, wir sind in einem schönen Zinshaus aufgewachsen, der Vater war Spenglermeister, und ich hab dann auch Bauspengler gelernt. Wir haben den ganzen Aufbau miterlebt, wir haben Arbeit gehabt en gros. Da sind schon andere Meister gekommen auf die Baustelle und haben mich wollen abwerben. "Kumm zu mir, kriegst um hundert mehr!" Das war nicht wenig, der Monatslohn war ja nicht einmal ein Tausender. In Schilling!

Gegessen haben wir immer gut, und Durst haben wir auch immer einen gehabt, aber wieder das Thema: Wirtshäuser gibt’s auch keine mehr! Früher an jeder Ecke ein Wirtshaus. Jeden Freitag haben sich die Leute getroffen zum Sparverein-Einzahlen, das Geld hast du noch im Kuvert gekriegt mit einem kleinen Lohnstreiferl. Es hat ja keiner ein Konto gehabt, das hat sich erst mit den Jahren entwickelt.

Meine Orgel willst sehn? Na guad, dann zah i sie halt aussa. Stehlen tut mir die da hinten keiner, auf die passen meine zwei Schäferhunde auf, der Burschi und das Menschi. Der, dem ich sie abgekauft war, war ein Bekannter von mir, der hat sie ein halbes Jahr vor seiner Pension gekauft. In der wollt er damit spielen, aber die Pension hat er nicht erlebt. Also ist mir seine Frau nachgerannt und hat gesagt: Was mach ich damit? Kauf sie mir ab! Hab ich sie ihr abgekauft um 24 Tausender. Na, ned Schilling! Euro! Und der Aff da drauf ist auch 5000 Euro wert, das ist ein Schweizer Erzeugnis. Wie der heißt? Na, Aff halt!

Der Aff? Is ein Aff!

Da im Gehäuse sind der Blasbalg drinnen und die Steuerung. Früher hast mit Musik­rollen und Walzen gespielt, die hast immer zurückdrehen müssen oder die Rollen wechseln, heute geht alles elektronisch. Das ist nicht so viel Arbeit. Drehen muss ich natürlich trotzdem immer, das ist eh klar, sonst gibt’s keine Musik. Die Drehorgeln unterscheiden sich im Klang. Es gibt welche mit 26, mit 46 oder mit 75 Pfeifen – und dann noch die Konzertorgeln, die auf dem Hänger stehen. Und Bauchorgeln, die kannst du dir umhängen. Die meisten stehen aber auf einem Wagerl und haben 50 Kilo. Die Hofbauer Drehorgeln haben den schönsten und reinsten Klang, die sind aus Deutschland. Ein Gefühl fürs Drehen solltest du schon haben, dass du nicht zu langsam oder zu schnell drehst. Die Mechanik musst du nicht pflegen, nach ein paar Jahren nur neu stimmen. Gelagert muss sie trocken werden, alles andere ist wurscht. Wie oft ich schon daran gedreht habe? Ich kann es ihnen nicht genau sagen!

Als Wiener trage ich ein Kapperl, wenn ich spiele, wie ein Kapitän, die Deutschen tragen Zylinder und Melone. Der Drehorgelspieler ist eine fröhliche Natur, er musiziert gerne. Die ­armen Leute haben sich damit früher ein Geld verdient, die sind vor einem Haus gestanden, haben gedreht, und die Leute haben ihnen aus dem Fenster das Kleingeld hinuntergehaut.

300 Lieder im Repertoire

Ich hab heute auf meiner 300 Lieder drauf, auf verschiedenen Kassetten, am besten kommen die Stimmungslieder an: Anneliese, Rosamunde, Trink, Brüderlein, trink. Oder die Wienerlieder. Mein liebstes ist Schön ist so ein Ringel­gspü. Auch den Kindern gefällt das noch immer, freilich!

Neulich haben sie mich sekkiert: Auf dem Viktor-Adler-Markt unten ist ein Fest, sie brauchen unbedingt einen Drehorgler. Hab ich meinen Angestellten hingeschickt, der hat sich hingestellt zweieinhalb Stunden lang und hat im Trinkgeldkapperl 260 Euro drin gehabt. Der hat gesagt: Ich fahr alle Tag runter, bei dir hör ich auf! Oder einmal hat mir einer gezahlt 400 Euro für eine Stunde Spielen auf der Gloriette, das war eine Firmenfeier.

Obmann vom Österreichischen Drehorgel Club Wien bin ich jetzt seit vierzig Jahren, wir haben 56 Mitglieder. Um jeden Muttertag im Jahr richten wir für drei Tage das Internationale Drehorgelfest aus, da kommen noch einmal so viele Drehorgler aus Deutschland, Holland, Belgien, Dänemark oder Ungarn. Sogar ein Russ ist dabei, der wollt gar nimmer heimfahren. Ob’s Damen auch gibt? Na freilich! In Berlin ist die Obfrau vom Orgelklub eine Dame. Der Bezirk unterstützt uns ein bisserl, hin und wieder die Kammer, aber alles sehr minimal. Früher haben wir mehr gekriegt, heute können wir die Drehorgler nur ver­köstigen. Aber sie kriegen ein richtiges Essen, net nur Würschtel!

Besser als im Wurstelprater

Heute haben wir ein Drehorgelmuseum. Früher waren wir 14 Schausteller da heroben, jetzt sind wir nur noch vier. Es ist ruhiger da als im Wurstelprater, nicht so extrem. Aber vieles sperrt gar nicht mehr auf bei uns.

Den Klub der ehemaligen Verkehrspolizisten leite ich auch. Was das ist? Na von den ehemaligen Verkehrspolizisten der Klub! Die Weißen Mäuse! Ein paar von denen hab ich allein erhalten, ich hab ja eine große Honda, die kommt jetzt weg. Aber meinen Mercedes SL in Dunkelblau, den ich seit 34 Jahren hab und den alle wollen, kriegt keiner. Mit dem lass ich mich begraben, und den Aff nehm ich auch mit ins Grab. Ich mach halt weiter, solang es geht, die Kinder freut das nimmer. Und wennst schaust, ich hab bisher nur schön gelebt, seit ich geboren bin. Nur schön gelebt."

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