Flieg, Brieftaube, flieg!

Foto: Christian Fischer

Die Brieftaubenzucht ist in Österreich nur noch ein Hobby. Im Raum Wien, Niederösterreich, Burgenland sind es 50 Züchter, die an Wettbewerben teilnehmen. Dann werden ihre Tauben bis in den deutschen Westerwald gebracht, und nach über 14 Stunden Flugzeit kommen sie wieder zurück

16.02.2022 im STANDARD


Neulich wieder eine Hochzeit: Die Brautleute wollten weiße Tauben für ihren großen Tag haben, noch mehr aber für ihre Insta-Accounts. Der gebuchte Züchter ließ die Tauben also hoch, und die Gäste fotografierten gegen den blauen Himmel. Während die Fotos upgeloadet wurden, machten die Tauben, was sie immer machen: Sie flogen zurück in Richtung ihres Schlags. In einer Zeitung stand dann: "Brieftaube kam erst am nächsten Tag nach Hause!"

Egon Lauter, 65 und Inhaber eines Küchenstudios, wundert das nicht: "Natürlich sind auch weiße Tauben Brieftauben, nur sind sie halt auf Farbe gezüchtet und nicht auf Leistung." Da kann einer schon einmal die Puste ausgehen, wenn sie von einer Hochzeit nach Hause fliegt, und sie übernachtet dann irgendwo in einer Dachrinne. "Richtige" Brieftauben hingegen, so wie Lauter sie in seinem Schlag im Weinviertel züchtet, seien Athleten mit einem Brustkorb so breit wie der von Vin Diesel und einer Lunge so stark wie die von Anna Netrebko – bildlich gesprochen! Ob sie darüber hinaus weiße Federn haben, ist ihm ziemlich egal.

Flugprogramm der Saison

Lauter ist erster Obmann im Vorstand der Vereinigten Brieftaubenreisevereinigungen Wien, Niederösterreich, Burgenland mit je drei Regionalvereinigungen in den Kreisen West, Mitte und Ost. Seine hat ihren Sitz in Bad Pirawarth im Weinviertel, wo er in einem schmucken Haus lebt, hinter dem seine Taubenschläge stehen. Im Vorstand schnapsen sie das Flugprogramm für die jeweilige Saison aus, die circa von Mai bis August dauert, immer 13 Wochenenden mit Abholen der Tauben am Freitag und Hochlass am Samstag. Insgesamt, sagt er, seien es vielleicht noch 50 Schläge, die in dieser Vereinigung aktiv am Reisegeschehen teilnehmen, in Wien zehn, fünf nördlich der Donau, fünf südlich davon. Der erste Hochlassort der Saison ist meist in Amstetten 109 Kilometer von Wien entfernt, der 13. Wettflug startet – nachdem sich die Entfernungen kontinuierlich gesteigert haben – in Montabaur im Westerwaldkreis in Rheinland-Pfalz und liegt 666 Kilometer von Wien entfernt.

Egon Lauter, Obmann

Brieftauben sind eine Taubenrasse, die sich durch ihr ausgeprägtes Orientierungs- und Heimfindevermögen auszeichnet. Dabei sollen sie visuelle Ansatzpunkte nutzen – bzw. das Magnetfeld der Erde. Vor Erfindung der Telegrafie und Telefonie konnte man nur mit ihnen eine Nachricht schneller übermitteln als mit einem Boten, der Sieg in der Schlacht von Waterloo wurde der britischen Regierung mittels Brieftaube übermittelt, in den Grabenkriegen des Ersten Weltkriegs waren sie unentbehrlich. Heute haben sie keine derartigen Funktionen mehr, in Österreich sind daher sowohl Zucht als auch Wettbewerb reines Hobby. Nur in klassischen Brieftaubenländern wie Belgien oder Holland, aber auch im deutschen Ruhrgebiet ist beides noch ein Geschäft. Dort heißt die Brieftaube auch "Rennpferd des kleinen Mannes", und es werden Tauben für mehrere Tausend bis mehrere Hunderttausend Euro gehandelt.

Bis so ein "Rennpferd" freilich wettbewerbsfähig ist, muss der Züchter einiges an Geld und Aufwand investieren. "Die Küken schlüpfen im Frühling, dann rennen sie dir nach, manche sind vifer, manche duseliger. Nach sechs, sieben Tagen werden sie beringt, nach 25 Tagen von den Eltern abgesetzt, dann kommen sie in den Jungtaubenschlag. Dort lernen sie fressen und saufen, ab da gibt es Kraftkörndl, Fettkörndl, Spezialkörndl. Nach 14 Tagen im Schlag lässt du sie raus. Da fliegen sie aber noch nicht regelmäßig, da sitzen sie noch viel. Und das ist die gefährlichste Zeit."

Und das liegt an den Raubvögeln. Der Verlust an Wildnis zwingt diese zu den Taubenschlägen. "Von September bis März fliegt bei mir keine Brieftaube, der Habicht und der Sperber fressen sonst alles. Das edle Raubtier, ja! Es ist geschützt, zu Recht! Aber die Verluste für uns sind ein Wahnsinn!"

Überleben die Jungtauben, beginnt das Training. Erst fliegen sie ums Haus, dann bringt Lauter sie zwei Kilometer weg vom Schlag, dann fünf, bald fangen sie an zu "ziehen", sie machen Tempo. Sie prägen sich die Umgebung ein und kommen ohne Zögern zurück, drehen keine Ehrenrunde, fliegen einfach hinein in den Schlag. "Eine Brieftaube fliegt entweder, oder sie ist im Schlag."

Zurzeit hat er circa 100 Jungtauben, im August fangen deren Flüge an, bis dahin müssen sie trainiert sein. Sechs Wettflugtage sind zu absolvieren, die größte Distanz ab Regensburg, das sind 315 Kilometer zurück nach Wien. Es gibt Züchter, die halten ihre Jungtauben im Sommer zwölf Stunden in der Dunkelheit, um das "Mausern" (Wechsel des Gefieders) hinauszuzögern. Eine Taube ohne Federn fliegt nämlich nicht gut, im Gegenteil: Dann kann ein Regentropfen sie sogar blutig schlagen.

"Je mehr du sie trainierst, desto sicherer werden sie. Nach ein, zwei Jahren weiß die Taube genau: Jetzt geht es zum Wettflug. Sie liegt in der Kiste und rührt kein Ohrwascherl, wenn der Chauffeur sie im Kabinenexpress (Kabi) am Freitag abholt." Sex davor kann eine gute Motivation sein. Lauter spannt Manderl und Weiberl am Freitag zusammen, "sie busseln sich", dann trennt er sie. Beim Heimflug soll die Erinnerung an das Erlebte, die Vorfreude auf eine Wiederholung sie zur Höchstleistung treiben.

Man kennt seine Taube

Am Hochlassort ist der Flugleiter verantwortlich für den Start, er öffnet die Rollos an den Kabis, dann schießen 3000 Brieftauben hinaus wie bei einer Explosion. Der Flugleiter ist mit dem Wetterradar in Verbindung, weiß über Sonneneruptionen und Erdbeben Bescheid. Bestes Taubenflugwetter, so Lauter, ist Windstille bis leichter Rückenwind, "außer deine Tauben sind super beisammen, dann willst du Gegenwind, weil nur die Harten zuerst ankommen". Dann heißt es zum Beispiel "Erster Preis: 673,76 Kilometer in 14:47:08 Stunden = 1595,894 Meter/Minute". Davor freilich muss die Taube Attacken des Wanderfalken überleben ("Manche kommen zurück, bist du deppert! Die muss ich dann zusammennähen!"), Windräder und Stromleitungen geschickt um- oder unterfliegen, wie auch die eine oder andere Gewitterzelle.

"Wenn sie dann aber als kleiner Punkt am Himmel auftaucht, und du erkennst sie sofort, weil du deine Tauben immer erkennst, wenn sie dann herunterstürzt auf dein Haus wie ein Kampfflieger und sofort im Schlag verschwindet, dann", schwärmt Lauter, "ist das immer wieder ein Erlebnis, das jeden Aufwand lohnt."

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