Eisdisco

Foto: Lisa Leutner

Im Juni begann in der Wiener Eisstadthalle die “Eisdisco”. Fans von Musik und Eislaufen kamen in Scharen.

Es ist kurz vor 16 Uhr an diesem Dienstagnachmittag im Juni, als die Wiener Eisstadthalle sich langsam zu füllen beginnt. Nach einem langen Winter draußen am Eisring-Süd zieht die Community wieder hierher unters Dach – „Eisdisco“ heißt das Vergnügen, das von Radiomusik aus den Lautsprechern untermalt wird - über die discountypische Tageszeit machen wir uns lieber mal keine Gedanken! Hinter der Budel steht der Eisschuhmeister und gibt Eislaufschuhe aus, solche mit Schnüren und solche mit Schnallen. Auf den Bänken davor werden sie angezogen, während auf dem Eis die Maschine noch eine letzte Runde dreht und dabei einen dünnen Wasserfilm produziert. 

Um Punkt 16 Uhr fährt sie vom Eis, und die Türen hinaus zur Eisfläche werden geöffnet. Heribert scharrt schon mit seinen Kufen, er kann es merkbar kaum erwarten. Angestellt im Ersten Bezirk, machte er vor einer Stunde Schluss und kam pünktlich hierher, die eigenen Eislaufschuhe im Handgepäck und die Vorfreude im Herzen. Er hat schon als Kind beim WEV angefangen zu laufen, „aber  die haben mit Anfang März aufgehört und sperren erst im November wieder auf, und was soll ich bis dahin machen?“ Unter freiem Himmel wäre Eislaufen natürlich nochmal etwas ganz anderes, sagt er, da stünde er während der Saison im Winter praktisch jeden Tag in den Eislaufschuhen, „weil da bleib ich relativ geschmeidig.“ Nach acht Monaten Pause aber würde er sich wieder wie ein Anfänger fühlen, „das ist ein Wahnsinn, da tut mir alles weh.“ Lange Zeit konnte er sowieso nichts machen, erzählt er, weil er schwer erkrankte, gerade danach aber gab ihm das Eislaufen wieder die nötige Kraft, um ins Leben zurück zu finden. „Aber horcht´s zua“, sagt er. „Mit dem dort müßt´s reden, der war schon im Fernsehen!“

Helmut, „ein waschechte Wiener“, wie er sich nennt, hat einen kleinen Punchingball an einem Gummiband an seinem Stirnband hängen. Die Frage, was er mit dem mache, beantwortet er folgerichtig mit: „Na, Boxen!“ Ob er Zeit für ein kurzes Plauscherl hätte? „Jo, schon, aber nur für ein klanes!“ Seit dreißig Jahren steht der topfitte 66jährige auf dem Eis, im Winter drei bis vier Mal die Woche, im Sommer jeden Dienstag hier in der Halle. Den Rest der sommerlichen Tage schwimmt er an der Alten Donau oder bräunt sich dort, „Flow Movement“ nennt er, was er betreibt: „Ich will trainieren, Sport machen, mich fit halten.“ Auf die Nachmittagsradiomusik, die hier für ein wenig 80er-Jahre-Feeling sorgt („What a feeeeeling!“ von Irene Cara), verzichtet er dabei gerne, lieber hört er aus seinen eigenen Lautsprechern „Hard Rock oder andere Musik, die mich animiert.“

Sein 70jähriger Eislaufkollege Rudolf war schon in seiner Jugend vereinsmäßig aktiv, damals draußen in Strebersdorf, „wo wir Natureisbahnen gehabt haben, die wir haben noch selbst spritzen müssen.“ Die Schuhe musste er sich damals mit seinem Bruder teilen, „die waren mir aber ein bisserl zu klein.“ Er findet es schön, „dass im Sommer die Leut‘  da herkommen können, man kennt sich.“ Das schönste Eislauferlebnis in Wien aber wäre der winterliche Eistraum am Rathausplatz: „Ein bisserl eine Kulinarik, ein bisserl eine Musik, und ein bisserl Eislaufen.“ Seinen Bekannten jedenfalls sagt er immer wieder: „Ihr wisst‘s gar nicht, was ihr versäumt‘s, wenn ihr nicht Eislaufen geht’s!“

Dieser Meinung ist durchaus auch Valeria, deren Familie seit 25 Jahren in Österreich lebt. Als Kind konnte sie nicht Eislaufen lernen, weil es daheim in Moldawien keine Möglichkeit dafür gab. Als sie aber später in St. Petersburg lebte, hat sie 32jährig noch damit begonnen: „Dort gibt es viele Eislaufplätze, die rund um das Jahr geöffnet sind.“ Nach einer 15jährigen Pause hat sie nach ihrer Übersiedelung nach Wien hier wieder damit begonnen, und mit ihrer Trainerin möchte sie nun Großes erreichen: An Erwachsenenwettkämpfen teilnehmen, die demnächst im deutschen Oberstdorf stattfinden werden. Bis dahin dreht sie ihre anmutigen Pirouetten, während die jungen Wilden um sie herum rasen und Saltos schlagen.

Sebastian, 15, steht erst seit drei Jahren auf dem Eis, eislauftechnisch ordnet er sich bei der „unteren Mittelklasse“ ein, bevor er mit wehender, blonder Mähne und weitem, weißem T-Shirt wieder aufs Eis hinaus fährt und dort ein atemberaubendes Kunststück zeigt, das anderen drei Knoten in die Beine drehen würde. Er ist einer von vielen hier, die über Tik Tok zum Ice Freestyle gekommen sind: „Mir haben dort ein paar geholfen, neue Tricks zu lernen“, sagt er. Sein Freund Nico läuft überhaupt erst seit eineinhalb Jahren, am Rathausplatz im Winter sind sie allerdings nicht immer gerne gesehen. Das weiß auch die Mutter von Tim, die ihn zusammen mit dem Vater begleitet. Der Sohn ist quasi ihr Chef mit seiner einen Million Follower und der eigene Bekleidungs- und Getränkelinie. An zukünftigen Battles, die er absolvieren möchte, wird ihn auch die bereits einmal gerissene Leiste nicht hindern.

Sonja Ruzek kommt auch mit den jungen Freestylern gut aus, „schließlich verbrachte ich beinahe mein ganzes Leben am Eis.“ Ihr letztes aktives Jahr absolvierte die ehemalige Staatsmeisterin im Eiskunstlauf 1983, seitdem unterrichtet sie viele Stunden pro Woche: „Ich liebe es einfach!“, schwärmt sie. „Zuhause werde ich krank, am Eis nicht!“ Heute bringt sie der zehnjährigen Isabell, die am Eis ebenfalls aufblüht, erste Schritte bei: Laufen, Springen, Drehen. Für sie gibt es nichts Schöneres, während ihre Mutter lachend beklagt, dass sich die Begeisterung des ambitionierten Töchterls leider nicht bis in die Schulklasse hinein halten würde.

Vielleicht schafft sie es ja irgendwann, Kunststücke wie Patrizia zu zeigen. Die 24jährige Kellnerin läuft seit ihrem sechsten Lebensjahr, machte zehn Jahre lang Eiskunstlauf inklusive Dreifachsprüngen, hat aber nach einem schweren Eisunfall ein paar Jahre lang pausiert.  Ein seltener Fall von Eislauftochter begegnet uns in der Person von Lisa, die 16jährige hat ihre Mutter Iris zum Eislaufen animiert. „Kann sie es?“, fragen wir also die Tochter. „Ja, schon!“, meint diese, die mal einen Kurs gemacht hat und seither „voll begeistert ist.“  Sie kommt normalerweise mit ihrer Trainerin hierher, die ihr dabei 40 Minuten widmet, dann absolviert sie noch zwei Stunden Training alleine. Aber die Trainerin ist heute krank ist, also darf die Mama mit. „Wir machen das seit einem halben Jahr“, sagt sie, und mittlerweile kennen sie hier alle. Um die 80 Begeisterte werden es auch heute wieder sein, und glücklichere Menschen sind im Moment wohl nirgendwo zu finden.

Zurück
Zurück

Wiener Stromkastenköpfen

Weiter
Weiter

Was passiert mit alten Bahnschwellen?