Buch: Dschungelfieber
Foto: Milena Verlag
Als in Wien vor 30 Jahren FM4 gegründet wurde, kriegte dort jeder einen Job, der eine Umhängetasche tragen konnte. Die Wiener Downtempo-Götter Kruder & Dorfmeister starteten ihre Weltkarriere, nur zwei Typen vom Sender wollten Jungle und Drum & Bass hören. Sie gründeten im B.A.C.H. ihren eigenen Club
13.12. im STANDARD
Was waren das für Zeiten in den seligen 90ern! Wer mithilfe eines Stadtplans das Wiener Funkhaus finden konnte, der kriegte dort beim 1995 gegründeten Jugendradio FM4 einen Job. An dieser Adresse thronte ein Gott, der Werner Geier hieß und sich nächtens Demon Flowers nannte. Wem dieser sympathische Kerl beim Fortgehen ein Wort schenkte, der konnte danach besser schlafen. Er ruhe – wie manch andere aus dieser Zeit auch – in Frieden. Die restlichen Jugendradiomacher mögen ihre verdiente Pension genießen.
Einer dieser Umhängetaschenträger hieß Christian Moser-Sollmann, und der hat nun einen Roman über jenes Umfeld und wohl seine Erfahrungen als Clubgründer geschrieben – dem Himmel sei Dank! Slash und Mao sind "fixe Freie" beim Sender im Dunstkreis der einst legendären Sendung La Boum de Luxe, nebenher studieren sie an der Uni Soziologie: "Niemand an diesem verschlafenen Institut beforschte das Brachland Clubkultur!" Auch, was die Musik angeht, sind die beiden voll unzufrieden: Kruder & Dorfmeister und überhaupt dieser ganze Wiener Downtempo-Scheiß? Da lieber Proseminar! Und dieses ganze Grunge- und Punkzeug gehört sowieso längst in den Kübel. Was also tun? Ein eigener Jungle-und-Drum-and-Bass-Club muss her! Entsprechend neue Klänge hört man aus England herüber.
Das B.A.C.H. im 16. Bezirk eignet sich dafür bestens: Es hat einen Gehsteig, auf dem die Tanzwütigen warten können, und eine Stiege, über die sie hinabsteigen dürfen. Spätestens, wenn dort unten die Nadel auf die erste Platte fällt, hält man sich als stets am Rand stehender Zeitzeuge das voller gewordene Bäuchlein vor Lachen und amüsiert sich köstlich als ausgewiesener Voyeur, der man ja ist. Denn der Autor spart netterweise nicht mit Klarnamen oder leicht verfremdeten (Wer mag wohl Crazy Tonic sein?) und nimmt uns mit in den Plattentempel Black Market, wo der eine Musikkritiker sich immer drei Exemplare einer Platte kaufte, oder zu den Redaktionskonferenzen in den Sender, wo wir in "Kurt" den Fußballfan mit seiner Phone-in-Sendung erkennen, der uns damals mit seinem Wissen auch über die dritte italienische Liga versorgte. Auch er ruhe in Frieden.
Der Club wird ein voller Erfolg, was sowohl gut als auch schlecht ist. Denn nun müssen die fünf Freunde auch nach Villach (alle besoffen!) oder Lienz (immerhin alle Girls top gebräunt!) auf Tournee gehen. Und zu Hause wird Mao plötzlich ins Turek auf der Mahü zur Anprobe für eine Modeschau gebeten ("Deine Schenkel sind zu fett, aber der Arsch kommt ganz gut"). Auch mit dem Sex wird es schwierig, wenn man ihn plötzlich hat: "Das hat nicht wehgetan. Du bist nicht sonderlich groß gebaut."
Wer sich damals per Telefonwertkarte für einen Club verabredete und dann immer verlässlich alleine an der Bar gestanden ist – wo er die unerreichbar heiße Kellnerin per intensivem Anstarren immerhin spüren ließ, dass er auch existierte! –, muss dieses Buch lesen. Und wer sich an diese Zeit nicht erinnern kann, weil er am Wochenende immer die einzige Bluejeanshose zum Waschen ins Bundesland gebracht hat, muss das erst recht.
€ 25.00
ISBN 978-3-903460-45-4
ca. 220 Seiten
gebunden mit Leseband