Beruf: Etuimacher
Foto: Christian Fischer
In einer Hinterhofwerkstatt in Wien-Neubau stellt Friedrich Fialka, der letzte Meister seines Fachs, Etuis und Kassetten her. Die Auftragslage ist schlecht
23.11.2025 im STANDARD
Selten noch, dass man so eine schöne Werkstatt findet. Wir gehen durch einen Innenhof in Wien-Neubau, an dessen Wänden der Wein wächst, hinauf in den ersten Stock, "über eine Stiege, auf der sich schon viele derhaspelt haben." Das verrät uns der Chef gleich zur freundlichen Begrüßung. Er heißt Friedrich Fialka und trägt einen auffälligen Schnauzer, der sein Markenzeichen als Schauspieler und Model ist. Vor Weihnachten wird man ihn in der TV-Werbung eines großen Möbelhauses als Weihnachtsmann sehen, erzählt er. Schade, dass sie diesen Bart darin hinter einem künstlichen verstecken.
Das mit der Schauspielerei hat einen ernsten Hintergrund. Denn der 59-Jährige ist zwar auch Meister der Etui- und Kassettenerzeugung – "eine Mischung aus Galanterietischler und Buchbinder" –, aber mittlerweile der letzte seiner Art in Österreich. "In Frankreich und England gibt's auch noch je einen", fällt ihm ein. Ansonsten? "Schaut's schlecht aus." Die Auftragslage ist dürftig, ohne zweites Standbein könne er kaum überleben.
Verschwindendes Handwerk
Es wird also auch dies eine Geschichte mit viel "Früher", als es noch so viele von ihnen gab, dass sie eine eigene Innung hatten. Diese wurde irgendwann mit den Buchbindern zusammengelegt, später mit den Fotografen, und am Ende sogar mit den Gebäudereinigern. Warum? "Keine Ahnung!" Er merkte selbst erst, dass es seinen Beruf offiziell gar nicht mehr gibt, als die Tochter von Freunden ihre "berufsbildenden Tage" bei ihm verbringen wollte.
1923 hatte sich der Großvater selbstständig gemacht, 1971 übernahm sein Vater, bei dem er schließlich selbst in die Lehre gehen musste – weil es keinen anderen Meister mehr gab. Vom Vater lernte er das Handwerk des Tischlers, denn der Körper des Etuis bestand ursprünglich aus Holz (Fichte oder Okoumé), mittlerweile jedoch meist aus Spanplatten.
Vom Kunden bekommt er das Maß des gewünschten Etuis – "sagen wir neun mal neun Zentimeter". Dafür schneidet er zunächst die Wände zu, die geschlitzt bzw. gezinkt und mit Warmleim verleimt werden. Auf die Wände kommen Boden und Deckel; der Rohling wird eingespannt und über Nacht getrocknet. "Am darauffolgenden Tag wird im Schleifkammerl der untere Teil verschliffen und der obere verputzt. Das hab ich ein paar Tausend Mal gemacht, das kann ich." Erst dann wird die Höhe geschnitten, sodass er einen Ober- und Unterteil in der Hand hält.
Für die "Inneneinrichtung" (den Kern) verwendet er dicken Karton, der gestanzt wird. Das können Halterungen für Münzen, Uhren, Schachfiguren oder Besteck sein, die er auf den Graukarton klebt. Darüber kommen Kunstleder, Leder, Samt, lackiertes Papier oder Haifischpapier: "Das ist anfangs total steif, aber sobald der feuchte Kleber draufkommt, wird's lehnig und wunderbar zu verarbeiten." All diese Stoffe werden mit einer riesigen, extrem scharfen Schlagschere ("auf Wienerisch: Deckelschere") geschnitten, die er längst nicht mehr verwenden dürfte – hätte er Lehrlinge.
Die Größe macht das Etui
Im Magazin liegen die Schätze gestapelt, die er für den Bezug verwendet, der über Etui oder Kassette hohlverspannt wird. Hier wird es Zeit, den Unterschied zu erklären: "Es geht um die Größe. Mein Großvater hat immer gesagt: "Alles, was man sich in den Hosensack oder die Manteltasche stecken kann, ist ein Etui."
Bei den Bezügen erfüllen sie, so gut es geht, die Wünsche der Kunden. "Konni? Weißt du noch, wann wir das Tabernakel für den Papst gemacht haben? Das war noch der Deutsche, oder?", fragt er seine Mitarbeiterin Kornelia Graßl. "Das war ein Trumm von 120 Zentimeter Höhe, die Statue darin war über einen Meter. Das haben wir in Leder gemacht, oder?"
Er zeigt Baumwollsamte und Atlasseiden, "die es in dieser Qualität nicht mehr gibt." Der Samt für den Bezug des Etuis müsse hochflorig sein, "aber leider Gottes gibt es nur noch einen Cordfabrikanten in Deutschland, der auch reif für die Pension ist." Dieser färbt ihm immerhin noch das Gelb "für die Niederösterreicher". Der Wiener Bürgermeister hingegen kriegt zwar ein schönes Rot, aber kein eigenes. Rapid? "Haben wir selten, und dann kriegen sie einfach das normale Flaschengrün. Außer, sie gewinnen einmal was!", lacht er. "Wer Goldmünzen verschenkt, nimmt häufig Schwarz", bei Silber darf es gerne "Rehleder, sämisch durchgefärbt" sein.
Ein Beruf als Prägung
Er führt uns zu zwei Heißprägemaschinen, in die er das Klischee (die Druckvorlage) verkehrt herum einklebt. Dieses bekommt er als Datei zugeschickt – Firmenname, Familienwappen, Republiksadler – und lässt es herstellen. Eine mit Goldfarbe beschichtete Folie wird zwischen Klischee und Deckel gelegt; bei 120 bis 150 Grad kommt die Prägung drauf. "Nach zehn Jahren fängt so ein Klischee aber zum Erodieren an, dann kannst es schmeißen." Ob er aber noch zehn Jahre arbeiten wird? Eher nicht.
In der Buchbinderei, die in die Tischlerei integriert ist, steht die Maschine mit den Spitzenscharnieren, und an der Wand hängen 100 Meter lange, vermessingte Rollen mit Scharnieren in verschiedenen Höhen für unterschiedliche Holzstärken. Diese werden durch die Maschine gezogen, um jeweils zwei Scharniere "mit Schlapfendampf" (der Kraft des Fußes) am Etui zu befestigen, zu vernieten und abzuschneiden. Früher, sagt er, hätte man die mit der Hand angeschlagen.
Der Wert der Arbeit
Und wirklich: Früher machten sie für das Hotel Imperial Kartonschachteln für das Konfekt, die sie mit einer Radlschere mit zwei übereinanderliegenden Walzen und runden Messern schnitten und ritzten – vorbei. Früher stellten sie die Etuis für die Geburtstags-Silberhunderter her, die die Stadt an ihre älteren Mitbürger verschenkte – das Geld gibt es noch, aber auf die Etuis wird verzichtet. Früher fertigten sie die Etuis für Bruststern, Halsdekoration und die zwei Miniaturen des Ehrenzeichens, das Diplomaten und gekrönten Häuptern überreicht wird – mittlerweile kommen diese Etuis aus dem benachbarten Ausland. Selbst teure Uhren, weiß er, werden in – durchaus schönen! – Etuis aus Fernost verkauft. Und da fragt man sich natürlich: Wie soll das alles hier noch funktionieren?
Andererseits: "Es macht halt auch Spaß!", sagt er. "Du hast zwei Brettl, ein bisserl Material und kannst etwas Schönes draus machen!" Und wenn vielleicht wieder einmal mehr Kunden den Wert seiner Arbeit zu schätzen wissen, könnt's sich auch wirtschaftlich wieder ausgehen.