La France und le Jazz - von der Liebe zu Sprache und Musik
Foto: Marie Svehla
Die 20jährige Jazzmusikerin Anna Rotter vereint in ihrem Spiel zwei Leidenschaften: Die für den Jazz und jene für die französische Sprache. Mittlerweile studiert sie an der MUK und spielt in drei Bands.
D’autres à venir!
Als Kind von Eltern, die beide erfolgreiche Musiker sind, ist das immer so eine Sache: Will man selbst auch? Soll man? Muss man gar? Gezwungen wurde Anna Rotter natürlich nicht, den Kontrabass in die Hand zu nehmen und den Spuren ihres jazzbegeisterten Vaters Hannes Laszakovits zu folgen, der selbst in div. Bands spielt und das Instrument auch unterrichtet. Aber so richtig überzeugt war sie anfangs halt auch nicht. Na gut, da war sie sechs. Und wer weiß mit sechs schon, was man vom Leben will?
Die Musik war jedenfalls allgegenwärtig im elterlichen Haushalt, wo es keine Nachbarn gab, die sich über den Klang des väterlichen Basses oder die Stimme der singenden Mutter aufregten. Amanda „Mandy“ Rotter ist hauptberuflich Konzertmanagerin und gründete 2001 die Gruppe Mandys Mischpoche. Die Tochter ließ sich vom Vater eine Stunde pro Woche am Bass unterrichten, spielte aber lieber Klavier. Sie kann sich erinnern, „dass er schon sehr dahinter war, wenn ich einen Durchhänger hatte.“ Mit 15 hatte sie dann wirklich keine Lust mehr und hörte vorübergehend auf. Über einen neuen Lehrer fand sie schließlich doch wieder zur Freude am Spielen und Üben zurück.
„Es war ein langer Kampf, den Kontrabass zu meinem eigenen Instrument zu machen“, erinnert sie sich. Ihn vor allem in den höheren Lagen sauber zu spielen, ist auch für Profis eine Herausforderung. Man muss sich zunächst alle Griffe merken – sie nennt das „muscle memory“ – und dann sein ganzes Leben lang regelmäßig üben. Das verlangt einiges an Kraftaufbau und Ausdauer. Die Hornhaut an den Fingern ist dabei nach 14 Jahren an den Saiten das geringste Problem.
Foto: Marie Svehla
Die Jazz-Bassisten auf den Covers der Platten ihres Vaters sagten ihr lange Zeit nichts, heute kennt sie natürlich alle. „Ray Brown oder Paul Chambers waren herausragend in den 50er Jahren - die Ruhe, wie sie mit ihrem Spiel die ganze Band zusammenhalten und das Tempo vorgeben… Wenn der Bass gut klingt, klingt die ganze Band gut“, sagt sie. „Und wenn das nicht der Fall ist, können sich die anderen abwursteln, so sehr sie wollen, es wird nichts bringen.“
Zwar ging auch sie in ihren Teenagerjahren mal ins Flex und hörte zuhause Anna Mabo oder Buntspecht, die sie für ihr nun eigenes Songwriting inspirierten. Aber Jazz gefiel ihr dann doch immer am besten. Am liebsten der ab den 1980er Jahren: „Fusion mit Rock und Funk, alles, was einen guten Groove hat.“ So wie die schottische Band Corto.alto, die ihr in Paris der Freund eines Freundes vorspielte. „Und ich war: Wow, cool!“
So reden wir endlich über Frankreich, wo aus ihrer wachsenden Liebe zum Instrument und zum Jazz eine Entscheidung wurde: Ich will das machen, ich werde Kontrabass studieren. Im Rahmen eines Schüleraustauschs war sie mit 16 für drei Wochen nach Marseille gekommen, wo sie die Singersongwriterin Pomme entdeckte und diese danach im Lockdown rauf und runter hörte. Deren Texte wollte sie unbedingt verstehen: „Das hat mich motiviert, die Sprache richtig zu lernen.“ Als ihr Austauschpartner, der ihr zum Bruder wurde, nach Paris zog, besuchte sie ihn dort während fast aller Ferien. „Die Jazzszene in Paris ist riesig und viel größer als die in Wien“, schwärmt sie. „Alleine in der Rue de Lombard gibt es vier Jazzclubs - das Sunset-Sunside (www.sunset-sunside.com), das Baiser-Salé… Und dann gibt es noch über die ganze Stadt verteilt mindestens zehn weitere!“ Dort lernte sie auch gleich „sehr coole Leute“ kennen, die sie in diese Clubs mitgenommen haben. „Damals konnte ich nur einen Jazz Standard auswendig spielen, aber der war genug, um für Jam Sessions auf die Bühne geholt zu werden“, lacht sie. „Als Bassistin steht man aber zunächst ohnehin nicht im Vordergrund, da fällt es nicht so extrem auf, wenn man mal einen falschen Ton spielt. Man muss einfach gut zuhören und den Rhythmus finden.“ An dem sich freilich die ganze Band orientiert.
„Jazz Standards sind die Stücke, die zwischen den 1920er- und 50er Jahren geschrieben wurden“, erklärt sie. „Die waren damals, was heute Popmusik ist. Alles, was Ella Fitzgerald, Louis Armstrong oder Frank Sinatra machten, nennt man heute Standards.“ Das sogenannte Real Book (www.officialrealbook.com) wird gar als „Bibel des Jazz“ bezeichnet, in ihm findet sich die gemeinsame Sprache der Jazzmusiker, die sie sich als Melodie und Akkorde aneignen. „So kann man auch mit Musikern zusammenspielen, die man gar nicht kennt. Man macht sich das Intro aus, der Rest passiert über Blicke und Zuhören.“
„Meistens sind diese Jazzclubs in Paris recht klein“, berichtet sie von ihren Erfahrungen an der Seine. „Da stehe ich als Bassistin mit der Rhythm-section, zu der noch Schlagzeug und Klavier gehören, im Halbkreis zusammen. Die Bläser und Sänger stehen vorne und schauen ins Publikum.“ Natürlich gebe es auch riesige Jazzfestivals und fände Jazz auch auf großen Bühnen satt. „Aber für mich lebt Jazz noch sehr von dieser intimen Atmosphäre, wo das Publikum sehr nahe an der Bühne sitzt. Das sind meist junge, nette und entspannte Leute aus verschiedenen sozialen Schichten, sehr offen und lustig. Jede Jam Session ist eine kleine Party“, schwärmt sie.
In solchen Clubs dehnen sich die Konzerte oftmals bis auf die Straße hinaus und bis in den frühen Morgen hinein aus. „In Wien hingegen gibt es Nachbarn, die sich aufregen, wenn es länger dauert oder lauter wird. Darum endet hier alles um 22 Uhr.“
Ihre Erfahrung in Paris - Zu sehen, dass es möglich ist! -, ließ sie schließlich eine Entscheidung treffen: „Ich will so gut werden, dass ich mit diesen Musikern dort immer spielen kann. Ich werde Kontrabass studieren.“ Nach einem Jahr Umweg über die Romanistik (Französisch!) begann sie ihr Studium an der MUK, „wo ich mit Beate Wiesinger eine sehr tolle Professorin habe, die mir gute Inputs gibt.“ Das Jazzinstitut wäre obendrein nicht sehr groß, sodass sie sehr schnell so ziemlich alle Leute kennenlernte. „Es ist so ein Community-feeling, ich verbringe sehr gerne viel Zeit dort. Und man spielt dann auch schnell bei diversen Projekten mit.“
Foto: Marie Svehla
Ihren Bass schleppt sie dabei nicht immer extra mit auf die Uni, dort gibt es einen zum Üben. Aber am liebsten spielt sie natürlich doch immer mit dem eigenen. „Man entwickelt so ein Gefühl für sein Instrument“, sagt sie. Und bei dem Kanzian, auf dem sie nun schon seit Jahren spielt, war ihr sofort klar, dass es „ihrer“ wird. Kostenpunkt: „3000 bis 5000 Euro.“ Den pflegt man dann auch gerne, „weil der Klang immer besser wird, je öfter man auf ihm spielt.“
Zwar wäre sie als Frau im Jazz mit diesem großen Instrument noch immer in der Minderheit: „Aus irgendeinem Grund gibt es aber in den letzten Jahren immer mehr Bassistinnen, am Jazzinstitut sind wir sogar fast die Hälfte.“ Dass sie von einer Frau unterrichtet werden, zeige außerdem, dass alles möglich wäre, wenn man sich für eine Sache interessiert. Herablassende Komplimente der Art „Wow, du bist gar nicht schlecht für eine Frau!“ hört sie sich hingegen schon längst nicht mehr an.
Als ausgebildete Jazzbassistin wird sie einmal alle Möglichkeiten haben: Sie kann mit ihrem Abschluss an Musikschulen unterrichten, Engagements annehmen oder ihre eigenen Projekte verfolgen, was ganz eindeutig ihr Ziel ist: „Mit der eigenen Musik und verschiedenen Projekten als vielseitige Bassistin aktiv zu sein und damit Geld verdienen.“ Dafür müsse man natürlich aktiv sein und sich bemerkbar machen. Auf Instagram kennt man sie als “Birgit mit Hut” https://www.instagram.com/birgitmithut/. Birgit, weil sie als Teenager nicht Anna heißen wollte, und „…mit Hut“, weil sie immer einen trägt. „Sobald man öffentlich sichtbar ist, wird man für Projekte angefragt.“ Mal teilt sie sich mit Kollegen die Scheine aus ihrem Hut, den sie herumgehen lässt, öfter schon sind es gute Gagen.
“Hommage à George Brassens” Foto: Marie Svehla
Am liebsten stellt sie selbst etwas auf die Beine, ihr Hauptprojekt heißt Hommage à Georges Brassens. Dafür hat sie sich einen Gitarristen und einen Sänger geholt. Im zurückliegenden Sommer kam ihr während eines Paris-Aufenthaltes die Idee dazu, denn dort hörte sie viele Chansons des bekannten französischen Sängers. „Die Texte sind sehr gefinkelt, lustig, aber auch berührend und mit viel Gesellschaftskritik. Da muss man schon sehr gut Französisch können, um alle Witze und Wortspiele zu verstehen.“ Was ihr nur noch mehr Motivation war, die Sprachkenntnisse zu vertiefen. In dieses Projekt hat sie auch bereits eigene Lieder eingebaut, die sie teilweise auf Französisch singt. „Das funktioniert sehr gut“, sagt sie. Auch wenn ihre eigenen Lieder letztlich mehr wie Buntspecht klingen und weniger wie Brassens.
Mit Diminished Gravity (https://www.instagram.com/diminished.gravity/), einem weiteren ihrer Projekte, spielt sie Jazz Fusion und nimmt bald ihr erstes Album auf, auch ein Soloprojekt hat sie in Planung: Studio mieten und aufnehmen, dann zunächst auf Streaming-Plattformen präsent sein und irgendwann vielleicht auch Platten verkaufen, die der Vater in seine eigene Sammlung stellen kann.
Nächstes Jahr möchte sie im Rahmen des Erasmus-Progammes ihr Studium in Paris fortsetzen, der Stadt mit den vielen Jazzclubs, in der sich ihre beiden großen Lieben vereinen: Die Sprache und die Musik.
Bonne chance!