Prof. Peter Eigner über den Wienfluss

Foto: Peter Eigner

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Texte, die keine Zeitung bringt

In einem neuen Bildband wird dem Wienfluss ein Denkmal gesetzt. Mehr als 220 Fotos (vom Ursprung „Kaiserbrünndl“ im Wiener Wald bis zur Mündung bei der Urania) dokumentieren den Verlauf der Wien durch die Stadt – auch an all den Stellen, an denen im Zuge der großen Wienflussregulierung und des Baus der Stadtbahn unterirdisch verläuft. Univ.-Prof. Dr. Peter Eigner vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien schrieb dazu einen Essay. Ich traf ihn zum Gespräch.

Ort: Café Weidlich, 1120 Wien

Zeit: 27.11.2025

Wien, Wien, nur du allein!

Frage: Herr Professor, warum interessieren Sie sich für den Wienfluss?

Eigner: Ich bin Wirtschaftshistoriker, die Wien hatte eine große Bedeutung für die Industrialisierung der Stadt entlang des Flusses. Es gab erstmals so etwas wie Urbanisierung außerhalb des Gürtels links und rechts des Wienflusses in den heutigen Bezirken Meidling und Rudolfsheim-Fünfhaus. Wobei die Umweltgeschichte in meinem Fach zunehmend wichtiger wird und man heute den Blick etwas anders auf die Industrialisierung wirft, die wir ja immer als Fortschrittsgeschichte betrachten. Was sie, wie wir heute wissen, nicht ist, weil sie ja zum Klimawandel beitrug und auch sonst Probleme schaffte. Entlang der Wien siedelten sich in erster Linie Textilbetriebe an und solche, die die Nähe des Wassers brauchten, um ihre Abwässer und den Dreck abzuleiten.

Frage: Der Dreck, der Gestank und die Abwässer wurden besonders während der Überschwemmungen zum Problem.

Eigner: Die gab es seit dem Mittelalter, und es musste dann immer wieder darauf reagiert werden. Aber es ist nie wirklich gelungen, den Fluss zu bändigen, auch nicht durch die Regulierung ab Ende des 19. Jahrhunderts, wie wir erst letztes Jahr wieder gesehen haben, als das Rinnsal während eines „tausendjährlichen Hochwassers“ zu einem reißenden Fluss wurde. Was wenige wissen: Die Wien ist ja ein alpiner Fluss mit einem Gefälle von immerhin 385 Metern auf 34 Kilometern Länge und zahlreichen Nebenbächen, die ihn speisen.

Frage: Beginnen wir unseren imaginären Spaziergang bei der Mündung in den Donaukanal.

Eigner: Das ist ein sehr schöner und gelungener Ort, wie ich finde. Die Aspernbrücke war ja nicht umsonst Schauplatz in Before Sunrise, dem Film von Richard Linklater.

Frage: Wie gefällt Ihnen das Wienfluss-Portal beim Stadtpark?

Eigner: Das ist, so ähnlich wie die Strudelhofstiege, eine äußerst gelungene Jugendstilanlage, auch, weil es mal etwas anderes ist als ein Jugendstilhaus. Interessant ist, dass Otto Wagner ursprünglich einen hellbeigen Farbton verwendet hat und das heute vorherrschende und als „typisch“ bezeichnete Resedagrün erst in den 1950er Jahren aufgetragen wurde.

Frage: Den Karlsplatz nennen Sie einen „funktionierenden Platz“, obwohl er so schiarch ist. Warum?

Eigner: Weil er einerseits genutzt wird und oft gar nicht schlecht bespielt wird - denken wir nur an das Popfestival. Auch ist er durch die Technische Universität ein Platz, der junge Leute anzieht. Er ist aber nie fertig geworden, obwohl es unzählige Ideen gab, auch von Otto Wagner, der bereits vor 1890 einen Entwurf für das Wien-Museum am heutigen Platz vorgelegt hatte. Jedenfalls hat man, wenn man über den Karlsplatz geht, das Gefühl, dass sich etwas tut, während sich am Schwarzenbergplatz überhaupt nichts tut.

Frage: Ist vorstellbar, dass der Fluss dort heute noch offen geführt wird?

Eigner: Es gibt ja die frühen Bilder des Karlsplatzes mit der Elisabethbrücke, die den Ersten und den Vierten Bezirk verband, was recht pittoresk und charmant ausgeschaut hat. Aber da gab es noch kaum Autos, also… eher nicht.

Frage: Pittoresk und charmant sind auch manche Häuser entlang der Linken Wienzeile stadtauswärts.

Eigner: Otto Wagner plante ja, dort einen Prachtboulevard zu bauen, der nie realisiert wurde. Bis auf diese drei Jugendstilhäuser mit dem bekannten Majolikahaus an der Linken Wienzeile 40, das 1898 errichtet wurde. Auch die Geschäftsstelle der Eisenbahnerversicherung an den Nummern 48-52 ist beeindruckend, oder der Jubiläumswerkstättenhof an der Nummer 178. Später gab es dann sogar Überlegungen, die Westautobahn bis zum Karlsplatz hinein zu verlängern, was Gott sei Dank nie realisiert wurde.

Baujahr: Gibt’s auch auf der Rechten Wienzeile Sehenswertes?

Eigner: Eine meiner Thesen lautet ja, dass sich bestimmte Gruppen den Stadtraum erst erobern mussten. Das waren die Frauen, die lange nicht in die Caféhäuser durften, oder die Arbeiterschaft, die im Mai 1901 das erste Mal in den Prater zog. Ähnliches passierte dann auf der Rechten Wienzeile 97, wo sich das Erstarken der Sozialdemokratie auch baulich-symbolisch niederschlägt durch die Errichtung des Vorwärtsgebäudes der Brüder Gessner in den Jahren 1907 bis 1909.

Frage: Die U-6-Brücke über die Gumpendorfer Zeile vermittelt so etwas wie großstädtisches Flair.

Eigner: Ja, man kann etwa an Glasgow denken. Das ist ein wirklich spektakulärer Bau - auch wegen der Krümmung -, den viele nicht wirklich wahrnehmen. Mittlerweile gibt es darunter ein bisschen Urban Gardening, und man kann froh sein, dass das Drumherum noch relativ frei von Bebauung ist, man hat von vielen Seiten einen guten Blick darauf.

Frage: Danach ist alles hässlich bis zur Kennedybrücke hinaus?

Eigner: Das ist halt die Gegend der ehemaligen Industrie- und Arbeiterviertel, wo es entlang des Flusses keine Möglichkeit gab, etwas „Schönes“ zu bauen. Das beginnt erst wieder entlang der Handikgasse, wo man den ursprünglichen Gedanken der Prachtstraße noch erkennt, da stehen ein- und zweigeschossige Häuser mit teils wunderbaren Vorgärten. Heute ist das eine Verkehrshölle, wobei ich aber gerade erst eine Untersuchung über die Nisselgasse gemacht habe, die von dort nach Penzing hinaufführt zu diesem Kennedy Garden auf den ehemaligen Elin-Gründen. Diese Gasse ist heute verkehrsberuhigt, da merkt man schon einen Wandel.

DIE WIEN - Der unterschätzte Fluss. Von Helmut Klein und Andrea Buday

Frage: Die Nisselgasse führt zur Kennedybrücke über den Wienfluss, die für viele Jugendliche in den 80er Jahren zentraler Treffpunkt war.

Eigner: Die ist auch ein recht spannendes Verkehrsbauwerk entlang der Wien, ich bin sehr froh, dass es diese typische 60er-Jahre-Architektur, die relativ selten erhalten blieb, noch gibt. Dieses Rondeau dort macht schon was her, und das Café Wunderer gegenüber zog junge Menschen an.

Frage: Ist Hütteldorf ein schöner Bahnhof?

Eigner: Ja. Ich war erst gestern zufällig dort, man taucht wieder in eine ganz eigene Welt ein mit dem Stadion, ganz Hütteldorf wird ja mit Rapid assoziiert. Auf dem Weg dorthin sieht man auch viele Graffitis, man fragt sich, wie kommen die Leute da hin? Für mich ist das charmant und gehört zu einer großen Stadt, wenn man nicht gerade Renaissancebauten mit Schmierereien verunstaltet.

Frage: Danach warten die westlichen Vorstädte.

Eigner: In vielen Städten ist „das Westend“ eine begehrte Wohngegend, ich habe mal gehört, dass es mit den Winden zusammenhängt und daher auch der flache Nordosten der Stadt relativ unbeliebt war.

Frage: Soll man sich das Kaiserbrünndl, die gefasste Quelle des Wienflusses im Wienerwald auf 540 Metern Höhe, mal anschauen?

Eigner: Den Wienerwald auf jeden Fall. Der ist groß und bietet viel, er zieht sich ja weit hinaus. Vor allem müssen wir froh sein, dass gewisse mögliche Eingriffe gestoppt wurden. Der Wienerwald hätte eine sehr attraktive Wohngegend mit großen Villen und Autobahnanschluss werden können, aber als Naturlandschaft bringt er natürlich viel mehr.

Frage: Und dann schnell wieder zurück in die Stadt?

Eigner: Unbedingt. Ich liebe Städte. Wobei eine Stadt nicht schön sein muss. Daher mag ich auch die weniger schönen Teile entlang des Wienflusses sehr.

https://www.freytagberndt.com/de/die-wien-2.html

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