Karin Fleischanderl

Karin Fleischanderl, 64, ist Romanistin, Übersetzerin, Literaturkritikerin und Festivalveranstalterin.

Foto: Gustav Ernst

Als gebürtige Oberösterreicherin wollte sie vor allem eins: „Weg!“ Italien schien ihr eine verlockende Alternative, sie musste aber den Umweg über Wien nehmen, „um der Liebe am Dolmetschinstitut einen institutionellen Rahmen zu geben.“ Wien war 1979 „sehr dröge, sehr fad, sehr grau“, und an der Uni spielte Literatur keine Rolle. Bald suchte sie selbst nach Autoren, die man übersetzen könnte: „Da war eine erste Welle der Italienbegeisterung schon vorbei, vieles war bereits übersetzt.“ Nicht aber Dacia Maraini oder Fabrizia Ramondino. Über diese verfasste sie Gutachten und schickte Angebote an Verlage. „Aber das hat nie funktioniert.“

Irgenwann lernte sie den Lektor von Hanser kennen, und der übertrug ihr Antonio Tabucchi: „Der war kein schwieriger Autor.“ Was beim Übersetzen wichtig wäre, denn: „Je länger ich pro Seite brauchte, desto weniger verdiente ich.“ Man stelle sich vor: „Damals musste ich mit der elektrischen Schreibmaschine jede Übersetzung drei Mal abtippen“, da ging viel Tipp-Ex drauf. Der Computer brachte eine große Erleichterungen, und erst recht das Internet: „Zwar konnte man telefonieren, aber am schönsten ist es, wenn man mit einem Autor spricht und Dinge erfährt, die man sonst nie erfahren würde.“ Als sie Gesualdo Bufalinos Das Pesthaus übersetze, reiste sie diesem sogar bis nach Sizilien nach – auf eigene Kosten.  „Das war die schwierigste Übersetzung ever, weil der so einen manirierten Stil hat. Der war ja Lateinprofessor.“ 30000 Schilling hat sie dabei verdient, für ein halbes Jahr Arbeit.

Den 1908 in Santo Stefano Belbo (Piemont) geborenen Autor Cesare Pavese hat sie jüngst wiedergelesen. Als sie mit Übersetzungen begann, „war der irgendwie abgehakt. Er wird ja als Neorealist bezeichnet, ab den 80er Jahren war das die Literatur, auf die du überall gestoßen bist.“ Nun entdeckte sie, dass er – zusammengefasst! – „unglaublich gut ist. Der hat eine existenzielle Wucht, eine irrsinnige Frische, die der Literatur danach abhandengekommen ist. Auch die Themen waren neu. „Die Italiener haben ja eine irrsinnig prüde Literatur, so etwas wie Portnoys Complaints wäre dort undenkbar gewesen. Pavese war sehr explizit, wenn er auf je sehr leidvolle  Weise über Drogen und Sexualität schrieb, obwohl er selbst impotent war, wie er sagte.”

„Er ist für die damaligen Verhältnisse in Italien sehr modern, das Land hatte eine sehr rückständige Kultur, die Literatur war Literaturliteratur, sehr akademisch. Pavese hat die Wirklichkeit in die Literatur eingeführt, das war unerhört für diese Zeit. Er hatte sich an den Amerikanern orientiert und eine Dissertation über Walt Whitman geschrieben.“

„Was ihm freilich wie jedem Schriftsteller zupass kam: Dass er in einer Zeitenwende lebte - das alte Italien stieß auf das neue. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in den 1940er Jahre waren ja furchtbar, da gab es keinen Frieden zwischen Mann und Frau, als er Die einsamen Frauen (eigentlich Unter Frauen - Tra donne sole, 1949) schrieb, die von Antonioni verfilmt wurden. Plötzlich wurden Städte wie Mailand oder Turin mondän, aber Pavese erschien diese städtische Gesellschaft als dekadent. Es ist wie in Fellinis Dolce Vita, wo wir die lebenshungrige Via Veneto in Rom haben und um die Stadt herum die alte Bauernwelt. Die Hügellandschaft um Turin hat bei Pavese etwas Mythisches, die Frauen treiben sich dort halt herum, sie schleppen sich durch die Romane. Am Anfang gibt es einen missglückten Selbstmord, am Ende gelingt er.“

„Der schöne Sommer (La bella estate) umfasst drei kurze Romane, für die er 1950 den Premio Strega gewonnen hat und die auch alle auf grauenvolle Weise enden.“

Perfekte Winterlektüre.

https://buchkontor.buchkatalog.at/der-schoene-sommer-9783858699039

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Martin Schenk