Renata Schmidtkunz

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Renata Schmidtkunz, 60, ist ORF-Moderatorin (“Im Gespräch”) und Journalistin

Erschienen am 04.10.2025 im STANDARD

Seit zehn Jahren verbringt sie einen Teil ihres Sommerurlaubs auf der Insel Hiddensee nördlich von Stralsund, die Nina Hagen in ihrem Lied Du hast den Farbfilm vergessen besingt und über die Ringelnatz einst ein Gedicht geschrieben hat. "Es ist sonnig dort, aber relativ kühl. Die Leute, die neben einem am Strand liegen oder in den Körben sitzen, lesen. Es gibt kein Geschrei, keine laute Musik. Man spürt noch ein wenig vom einfachen Leben in der DDR, es hat einen Hauch Jugoschick mit den Plastikböden überall, und es gibt keine Autos!" Dafür gibt es die Buchhandlung Koralle, deren bekanntes Gesicht Renate Seydel nun mit weit über 80 in Pension gegangen ist, die aber in der DDR als Herausgeberin bekannt war und an deren Bücher über Romy Schneider oder Asta Nielsen sich echte Fans noch immer erinnern.

Auch in Hiddensee hatte sie ihre "Bibel" mit dabei: Colin Crouchs Die bezifferte Welt, das ihr die "Augen für alles geöffnet hat", was auf der Welt schiefläuft, weil es "alles über die Zerstörung der Demokratie sagt. Das muss jeder lesen!" Weil sie aber noch Lesekapazität frei hatte, fragte sie in der Koralle nach einem "dünnen Buch, das sehr interessant ist", dünn deswegen, weil sie ja sonst beruflich oft 500 Seiten dicke Sachbücher weglesen muss. Die nunmehrige Buchhändlerin dort drückte ihr Kindheit von Tove Ditlevsen in die Hand, den ersten Band ihrer autofiktionalen Kopenhagen-Trilogie. Die Autorin wuchs dort im Arbeiterviertel Vesterbro auf. "Heute nehmen wir Dänemark als reich und liberal wahr, aber 1917, als Ditlevsen dort zur Welt kam, wurden 13-jährige Mädchen geschwängert, starben bei Abtreibungen oder hatten danach keine Perspektive. Die Ich-Erzählerin dieses Romans ist eine ganz starke, selbstbewusste Figur, die schon als Mädchen nur schreiben wollte, zugetraut hat man es ihr natürlich nicht." Sie lobt "die Klarheit der Beschreibung eines Lebens vor Palme und Kreisky" und schwärmt von "einer feministischen Stimme ohne Pathos. Ich konnte nicht aufhören zu lesen, es hat mich so berührt."

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Tina Zickler

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