Andrea Maria Dusl
Foto: Picus Verlag, Markus Ladstätter
Die Autorin und Zeichnerin Andrea Maria Dusl hat im Picus-Verlag ein mit Expertise und Witz gefülltes Buch zum Thema Kolumne geschrieben. Ein Gespräch
06.09.2025 im STANDARD
"Was ist Satire?"
Freiwillig um sieben Uhr aufzustehen", sagt Andrea Dusl, "ist jedenfalls schöner, als gezwungenermaßen um sieben Uhr aufzustehen." Wir treffen uns bereits um acht Uhr früh zum launigen Gespräch übers Dusls Lebensthema "Kolumne", betreiben also nachweislich keine "Arbeitsverweigerung", ein Begriff, der dem Kabarettisten Florian Scheuba wiederum in einer STANDARD-Kolumne zum Verhängnis wurde. Aber alles der Reihe nach.
STANDARD: Wie schön ist es, eine Kolumne zu schreiben?
Dusl: Meist ist es schön, weil Sachen entstehen, die vorher nicht da waren. Da wundere ich mich selbst oft, wie das geht, das ist immer noch ein Zauber.
STANDARD: Ein Zauber, der im amerikanischen Format meist strenge 800 Wörter umfasst und idealerweise literarische Qualität haben soll, wie Sie in Ihrem Buch erklären. Bei uns hingegen ...
Dusl: ... weicht alles ab. Das ist ein österreichisches Spezifikum, dass wir zwar die Regel kennen, uns aber nicht daran halten.
STANDARD: Die klassische Kolumne hat einen "Einstieg", einen "Laberteil" und einen "Schlussgag". Oder wie sie in Hollywood sagen: Tell them what you’ll tell them. Tell them. Tell them what you told them. Wäre "Ich habe gerade geduscht" ein guter Einstieg?
Dusl: Eher nicht. Eine Kolumne hat ja, wenn sie richtig gebaut ist, eine ungeheure Macht, denn sie kann etwas, was ein längerer Text nicht kann: in radikaler Kürze alles sagen. Daran scheitern in Österreich die meisten, weil sie, anstatt nachzudenken, worüber sie schreiben könnten, eben lieber erzählen, wie sie gerade geduscht haben.
STANDARD: Ein Fall von Denkverweigerung also, auch wenn wir damit natürlich niemanden beleidigen wollen?
Dusl: Beleidigen ist die unterste Etage der Kollegenpflege. Nicht geeignet, sich beliebt zu machen.
STANDARD: Sie selbst haben sich, was die Kolumne angeht, an Größen wie Günther Nenning geschult.
Dusl: Nenning war im Alter meines Vaters, ich wollte zu ihm in die Lehre, weil er eine polemische Figur war und satirisch sprechen und schreiben konnte, ich wollte lernen, wie man das macht. Außerdem kannte er alle Techniken, etwa die: Wenn dir kein Einstieg einfällt, verwende ein Zitat, Augustinus geht immer. Er hat das Zitat aber meist satirisch verwendet, wohingegen die meisten ja glauben, das Zitat wäre heilig.
STANDARD: Kommt zur Form der Stil und die Sprache dazu, spricht man von Edelfedern.
Dusl: Zur Hochblüte hat das Christian Rainer, ein wahrlich begnadeter Schreiber, getrieben, der unglaublich schöne Sätze formulieren konnte, die im Wesentlichen davon erzählten, dass er schöne Sätze schreiben kann.
Picus Konturen
STANDARD: Und das Foto daneben erzählte, wie schön er ist!
Dusl:(lacht) Und dass er schöne Sachen anhat!
STANDARD: Und das Schöne an ihm ist: Er versteht, dass wir das halb satirisch, halb ernst meinen.
Dusl: Bei ihm kann man sich das wegen der Fülle der Schönheit gestatten.
STANDARD: Wenn Rainer ein Star der Kolumne ist wie Elfriede Hammerl oder Polly Adler auch, was war dann Staberl im Vergleich? Schon so etwas wie Gott?
Dusl: Wenn, dann der Gott einer Religion, die ich ablehne. Er war der größte Bösewicht von allen, in ihm ist alles, was Österreich ausmacht, sichtbar geworden. Eine brutale Aussage, ich weiß, aber sie könnte stimmen.
STANDARD: Hätte man Nenning, anders als Florian Scheuba, durchgehen lassen, wenn er einen Polizisten in einer Kolumne in satirischer Form der "Arbeitsverweigerung" geziehen hätte?
Dusl: 1925 schrieb Karl Kraus unter dem Titel "Polemik": "Was immer drauf los mit dem Knüppel geht, das sind keine Künstler, nur Knoten. Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten." Wenn die Satire nicht verstanden wird, dann werden vor Gericht polizeiliche Gefühle verhandelt, die kann man außenstehenderweise weder verstehen noch messen.
STANDARD: Tatsächlich kennen wir den Vorwurf der Arbeitsverweigerung eher aus der anderen Richtung, wenn nämlich die Obrigkeit dem einfachen Volk sagt, dass es faul wäre. Oder der große Satiriker und damalige Bundeskanzler Kurz 2019 uns Wienern "Arbeitsverweigerung" unterstellte, indem er seinen Eindruck zum Ausdruck brachte, dass immer weniger von uns in der Früh aufstehen würden, um zu arbeiten.
Dusl: Die ÖVP ist ja, um es polemisch zu sagen, nur an der Arbeit interessiert, die andere leisten, um diese auszubeuten. Wenn jemand diesen Vorgaben nicht folgt, ist man in ihren Augen schnell ein "Arbeitsverweiger". Scheuba hat also vielleicht einen Begriff verwendet, den "die anderen" eigentlich für sich reklamieren, um damit uns, die "Linken",die satirisch Arbeitenden,zu verletzen. Vielleicht wurde das bestraft?
STANDARD: Könnte das Medium, in dem Scheuba seine Kolumne schreibt, auch eine Rolle spielen? Oder anders gefragt: Wäre es womöglich gar nie zu einer Anklage gekommen, wenn die Kolumne im "Exxpress" erschienen wäre?
Dusl: Wo Kollege Scheuba vermutlich nicht schreiben würde! Aber das könnte natürlich sein. Ich selbst bin auch ein paar Mal wegen übler Nachrede vor Gericht gestanden, und da ging es immer auch gegen das Medium,das die Satire genehmigte(und bezahlte).
STANDARD: Im konservativen Spektrum versuchen sich beispielsweise Christian Ortner und Andreas Unterberger immer noch als Edelfedern, wie funktioniert das Ihrer Meinung nach?
Dusl: Was sollen diese zwei Prototypen verdienter ehemaliger Chefredakteure anderes machen? Die haben eine große Schreibkraft in sich, die nie versiegt. Die müssen nun ausweichen in den Blog und dort ihren intellektuellen Saft verspritzen. Ich versteh das sogar, da kann man gar nicht böse sein. Das Einzige, was man anmerken könnte: Warum müsst ihr immer so depperte Sachen denken?
STANDARD: Vielleicht ist es Satire, und wir verstehen sie nicht?
Dusl: Und wenn wir sie nicht verstehen, ist es nicht die Schuld der Satire!
STANDARD: Im Olymp der Kolumne saß weit über Staberl Hermes Phettberg. Er schien so rein und arglos, konnte der überhaupt Satire?
Dusl: Er konnte nicht lügen, nicht einmal, wenn er gewollt hätte. Er war so sehr der Wahrhaftigkeit verpflichtet, dass es sogar ihm wehgetan hat. Einer seiner wichtigen Aussprüche war: Mache deine Krücke zum Zepter. Die Deformation hat er verwendet, um sich zu immunisieren. Er war ja nicht in einem akademischen Sinne Philosoph, aber einer der klügsten Köpfe in dem Sinn, dass er alles hinter- und jeden befragt hat, wenn er etwas nicht wusste.
STANDARD: Hätte er sich vielleicht sogar gefragt, ob ein Polizist überhaupt zur "Arbeitsverweigerung" fähig sein kann, bevor er darüber geschrieben hätte?
Dusl: Er hat mich mal (als "Franz Rand") gefragt, was Satire ist und was Ironie und was Zynismus. Daraus entstand ein kolumnistischer Briefwechsel, in dem ich ihm und eigentlich mir selbst erklärte, woher diese Begriffe kommen, ich zitiere: "Die Präambel zur Verfasstheit des Landes würden die drei spöttischen Denkschulen wohl so formulieren: ‚Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.‘ (Ironie), ‚Österreich ist eine demokratische Republik?‘ (Satire) ‚Österreich.‘ (Zynismus)." Indem Hermes wissen wollte, was Satire ist, wurde sichtbar, dass er kein Satiriker war, sondern wahrhaftig und rein, beinahe wie ein Heiliger.
Standard: Fehlt den Satirikern vielleicht manchmal die Liebe eines Hermes Phettberg?
Dusl: Die Liebe zu den Gummistieflern, wie ich die ÖVPler immer nenne? Hermes kam ja selbst aus dieser Ecke, er wuchs auf einem Bauernhof zwischen kleinen Schweinchen auf, bis er sechs war, hat er gedacht, dass er selbst so ein kleines Nutscherl ist, wie er sie nannte. Näher an der Bauernschaft kann man gar nicht dran sein.
STANDARD: Bedenken Sie selbst Folgen Ihrer Formulierungen als Kolumnistin?
Dusl: Die Unkultur der Selbstzensur steckt in mir drin, ich habe Angst vor der Polizei. Ich bin in den 60ern aufgewachsen, da gab es noch Selbstverletzungen an Heizkörpern. Und man ist auch dauernd abgehört worden.
STANDARD: Na gut, wenn Sie mit dem Nenning telefoniert haben!
Dusl: Das war die beste Satireschule! Wir haben so miteinander geredet, dass die gar nicht mehr verstehen konnten, ob wir das jetzt ernst meinen.
STANDARD: Vielleicht haben ja Polizisten zugehört, die Satire verstanden?
Dusl: Eine Kommunikationstechnik war es, die Mithörer satirisch in die Gespräche einzubauen. Von den "braven Stapozisten" zu sprechen, den "Stützen der Republik".
STANDARD: Für jede Kolumne, schreiben Sie, gilt: Love it or leave it – lieb den Schwurbel oder lass es bleiben. War umgekehrt der "Fehler" des Polizisten vielleicht, dass er die Kolumne überhaupt gelesen hat?
Dusl: In der medialen Debatte geht es ja immer auch um ‚He says, she says ...‘, wer weiß also, ob er sie gelesen hat. Wenn sich jemand verletzt oder beleidigt fühlt, ist das ja nicht messbar, und dann genügt schon das Gerücht, dass jemand so etwas über den, die Betroffenen gesagt haben könnte, und so weiter. Das Schwierige, wissen wir von Kraus, ist ja: Man muss Satire so betreiben, dass der Zensor, in diesem Fall der potenziell Beleidigte, sie nicht versteht. Dazu müsste man allerdings verstehen, wie der potenziell Beleidigte denkt. Und das kann man nicht von uns verlangen!
STANDARD: Diese Arbeit muss verweigert werden?
Dusl: Ja, unbedingt! Sie würde in eine Katastrophe führen!
(6.9.2025)
https://www.picus.at/produkt/die-kolumne/
https://www.derstandard.at/story/3000000286547/kann-214sterreich-kolumne