Dirk Stermann

Foto: Heribert Corn

Der Late-Night-Talker und Autor über "Die Republik der Irren", den dekadent schillernden Spinner Gabriele D’Annunzio und Kontinuitäten des Totalitarismus bis heute

14.09.2025 im STANDARD


Der Autor kommt mit seinem kleinen Hündchen an der Leine zum Gespräch im Kaffeehaus seiner Wahl. Es legt sich gleich unter den Tisch und schläft. "D’Annunzio hatte ja auch ein Hündchen", fängt er gleich an, das Thema seines neuen Buches anzureißen. "Es hieß Teli-Teli, und er hat sogar mit ihm geredet." So weit möchte er nicht gehen, er redet lieber mit dem STANDARD.

STANDARD: Wie kam es zu diesem Buch? Lagen Sie vor Rijeka in der Sonne und dachten: Da muss es doch eine Geschichte geben zu dieser Stadt, die ich schreiben könnte?

Stermann: Nein, nein. Mein Lektor ist eine Legende, und ich hatte ja zuvor Der Hammer geschrieben, einen historischen Roman ...

STANDARD: Sie sind ja Historiker ...

Stermann: Nicht fertig! Jedenfalls versorgte er mich dann immer wieder mal mit historischen Themen oder Gimmicks, unter anderem zeigte er mir mal auf einem Foto den Pimmelschuh von D’Annunzio.

STANDARD: In dem sein Schweißfuß steckte, an dessen Zehen wiederum die Frauen es liebten zu lutschen wie an einem feinen Sorbet – wie Sie schreiben.

Stermann: Dann schickte er mir ein Foto von Guido Baron Keller von Kellerer und Wolkenkeller, dem gerne in Leintüchern gehüllten und Kokain schnupfenden Piloten, und sagte immer wieder: Lies mal! Lies mal darüber! Lies doch mal nach! Also habe ich mir tatsächlich ein paar Bücher besorgt – Die Kommune der Faschisten oder Die Futuristen –, habe sie gelesen und kannte mich zunächst überhaupt nicht aus. Das war alles sehr spektakulär! Und ich wusste zunächst nicht so recht. Als ich dann aber gerade das Buch mit Erika Freeman zusammen schrieb, stand Österreich kurz vor Blau-Schwarz, und ich dachte: Jetzt ist es Zeit, dieses Buch zu schreiben.

STANDARD: Ein Buch über den Freistaat Fiume an der Stelle des heutigen Rijeka, den der Dichter Gabriele D’Annunzio zusammen mit ein paar Freischärlern im September 1919 unter seine Kontrolle brachte und wo dann Kriegsabenteurer, Nudisten und Futuristen eine 15 Monate dauernde Orgie veranstalteten.

Stermann: Ein Sittenbild von Undemokraten und künftigen Faschisten, vor denen man sich eigentlich anscheißen musste. Aber das Ganze war dann anfangs irgendwie auch anziehend in diesem Völkergewirr, in dem fast jeder mindestens vier Sprachen beherrschte, viel freakiger ging es nicht. Von überall auf der Welt strömten Menschen dorthin.

STANDARD: Der Krieg war zu Ende, keiner wusste so recht, wohin die Reise geht.

Stermann: Genau diese Zeit um den Ersten Weltkrieg herum fand ich ja so interessant: dass die Welt sich aufgelöst hatte, dass die Technik aufkam, die Begeisterung für Fahrzeuge oder Flugzeuge oder Drogen oder neue Ideen. Guido Baron Keller hatte eine Art Geheimgesellschaft, "Die Freunde des Haares", wo sie sich im Flugzeug die Haare schnitten und diese über dem Feind abwarfen, total verrückt. Was war die Botschaft?

STANDARD: Wie viel wussten Sie zuvor über das Thema?

Stermann: Von D’Annunzio hatte ich schon gehört und von den Gesprächen mit seinem Hund Teli-Teli, die er aufgezeichnet hat, die aber leider nicht erhalten geblieben sind. Von Baron Keller, der leidenschaftlich Yoga praktizierte und am liebsten nackt herumlief, wusste ich gar nichts. Und von der ganzen Republik wusste ich noch weniger. Das war aber auch ganz gut so, weil ich herangegangen bin an den Stoff wie die Leute, die damals die Ankommenden bestaunt haben müssen, so was wie die Futuristen hatte ja davor niemand gesehen! Denen am Nebentisch zuzuhören, das kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das lustig gewesen sein muss, aber eben auch nur eine Zeitlang. Irgendwann merkst du, dass alles nur Geschwafel ist.

STANDARD: Der Führer der Futuristen, Marinetti, hat Fiume bald wieder verlassen.

Stermann: Weil er so abstank gegen den D’Annunzio, wenn er neben dem auf dem Balkon stand. Er selbst fand sich ja sehr intelligent, D’Annunzio hingegen fand ihn nur so mäßig intelligent, wenn er Sätze schrieb wie: "Der Krieg ist schön, weil er das Gewehrfeuer, die Kanonaden, die Feuerpausen, die Parfums und Verwesungsgerüche zu einer Symphonie vereint."

STANDARD: Er liebte auch "das Knattern und Quietschen, die permanente Geschwindigkeit".

Stermann: Es war ja unglaublich laut dort, ein ständiger Wahnsinn, ein Fiebertraum mit Feuerwerk, Akrobaten und dauerndem Ficken. Und in dem beispielsweise auch Spaghetti als Gegner des Italieners ausgemacht wurden, der sie impotent machen würde, man entwickelte dort einen regelrechten Hass darauf. Ich war dann tatsächlich in Opatija und bin nach Rijeka hinübergefahren, wo heute noch viele Straßen drei Namen haben.

STANDARD: Und Sie haben sich den Palast angeschaut, auf dessen Balkon D’Annunzio mit Mussolini stand und den rechten Arm hob?

Stermann: Die ganzen Geschichten um den Palast herum alleine sind ja wunderbar: dass der Palast "viel zu groß" war für D’Annunzio, der selbst ja sehr klein war und dem auch seine Uniform viel zu groß war, er wirkte darin wie ein verkleidetes Kind. Und den "römischen Gruß", den wir jetzt wieder öfter sehen, gab es eigentlich gar nicht. Es existiert in Frankreich ein Gemälde aus dem 16. oder 17. Jahrhundert, auf dem römische Legionäre abgebildet sind, und einer von denen hat den rechten Arm erhoben. Dieses Gemälde kannte D’Annunzio, und scheinbar fand er das total geil und hat das nachgemacht, und Mussolini fand das auch geil und hat D’Annunzio nachgemacht, und Hitler fand den Gruß wiederum am allergeilsten. Jetzt ist es Elon Musk, der ihn geil findet, und das ist schon irre, dass das alles auf einem lächerlichen Ölschinken basiert. Immerhin ist an der Stelle, wo Mussolini erhängt wurde, jetzt ein Mäci. Dafür liebe ich Geschichte.

STANDARD: Wie konnten Sie aus all dem Stoff eine Geschichte herausarbeiten?

Stermann: Das war dann tatsächlich ein wenig das Problem, dass die Fakten in sich schon so facettenreich und verrückt waren. Ich brauchte also jemanden, der sie halbwegs nüchtern erzählt und der genauso doof an sie heranging wie ich. Da fiel mir die Figur des Cherubino ein, ein Pfleger aus einem Irrenhaus, der einen riesenhaften Irren namens Zino nach Fiume bringen sollte. Und dann hatte ich noch die Idee, dass diese Irren in dieser Republik die Minister sein sollten.

STANDARD: Zino machten Sie zum Minister für Handstreiche. Es gibt ja einen Minister für Schönheit, Maschinen und Märsche. Und einer wird Minister für abzureißende Wände und Mauern. Das Alles-zerstören-Wollen sehen wir auch jetzt wieder, bei den Tech-Bros, den neuen Diktatoren.

Stermann: Mein Lektor hat mich oft gefragt, was ich im Buch erfunden habe und was real war. Aber die destruktiven Menschen sind ja alle gleich in der Geschichte, sie wollen immer alles Bestehende zerstören, obwohl es gar nicht so schlecht läuft. Die Futuristen wollten Venedig zuschütten, das ihnen als Sinnbild für alles Schreckliche, Sumpfige galt, sie wollten es asphaltieren und eine riesige Fabrik für Eisen draufstellen.

STANDARD: Trump möchte den Gazastreifen plattmachen und eine Riviera des Nahen Ostens dort errichten.

Stermann: Aber so primitiv! Das Video, in dem man sieht, wie das alles mal aussehen soll, packst du ja nicht! In der Mitte so ein Platz mit einer goldenen, phallusartigen Trump-Statue, und alle darum herum sollen Hamburger essen.

STANDARD: Die Faschisten bieten immer auch eine Art Serviceprogramm: In Frankreich wollten sie diesen Sommer Klimaanlagen verteilen, in Fiume konnte man sich damals scheiden lassen.

Stermann: Nachdem die katholische Kirche die Italiener bis dahin praktisch an allem gehindert hatte, was Spaß machte. Es wird also durchaus befreiend gewesen sein, sich dort in allen möglichen Formen von Orgien auszuleben. Am Ende aber war aber die ganze Stadt mit Prostituierten überfüllt, und alle hatten irgendeine Geschlechtskrankheit. Das Geld war alle, nachdem der Industrielle Oscar Sinigaglia, ein Jude aus Triest, der sie wirtschaftlich unterstützt hatte, zu Mussolini übergelaufen war – weil ihm D’Annunzio nicht nationalistisch genug war! D’Annunzio selbst hatte ja auch immer reiche Frauen, die ihm Geld gaben.

STANDARD: So konnte er sich dreimal am Tag duschen und immer frisches Parfum auftragen.

Stermann: Er liebte Parfum, und Mussolini hasste das an ihm und überhaupt diese Mischung aus Kokain, Yoga, knappen Höschen und Nudismus. Interessant, dass die richtig harten Rechten diese verweichlichten, parfümierten Rechten dann ja am Ende immer umbringen müssen.

STANDARD: Lernen wir etwas aus alldem?

Stermann: Dass es total einfach ist für die Masse, einem einzigen Menschen zu folgen, egal, was der will und was er für einen Scheiß daherredet.

STANDARD: "Und einige Spinner, vor allem, wenn sie sich in Massen versammeln, wollen, dass alles wahr ist, was er erzählt. Für sie ist wahr, was sie als wahr ansehen wollen", schreiben Sie.

Stermann: So war es damals, und so ist es noch heute.

https://buchkontor.buchkatalog.at/die-republik-der-irren-9783498007454

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Andrea Maria Dusl