Renata Schmidtkunz - Talking to the People
Nach 26 Jahren hat die ORF-Journalistin die Moderation der Ö1-Sendung "Im Gespräch" abgegeben. Im Gespräch mit dem STANDARD erzählt sie ein bisschen, wie es war
06.09.2025 im www.derstandard.at
STANDARD: Haben Sie Ihre Gäste stets mit "Hallo, ich bin die Renata Schmidtkunz, wollen Sie zu Im Gespräch kommen?" eingeladen?
Schmidtkunz: (lacht) Nein.
STANDARD: Wie viele Gäste wussten zunächst gar nicht, wer Sie überhaupt sind, bzw. hatten von Ihrer Sendung Im Gespräch noch nie gehört?
Schmidtkunz: Viele. Aber es gab auch den Manager von Mario Adorf zum Beispiel, der gezielt mich angerufen hat, als er im Wiener Konzerthaus las, weil er nur mit mir reden wollte. Auch Thomas Gottschalk hat sich bewusst für mich entschieden, als es darum ging, mit wem er hier in Wien ein Gespräch führen sollte.
STANDARD: Wie oft hörten Sie den Satz: "Ah, Sie sind ja die mit der schönen Stimme!"
Schmidtkunz: Hunderttausendmal und überall.
STANDARD: Wie oft haben Sie sich dann auf Ihre Stimme reduziert gefühlt?
Schmidtkunz: Auch sehr oft. Speziell wenn es Männer gesagt haben und das so einen Unterton hatte. Aber ich fühlte mich schon auch geschmeichelt.
STANDARD: Kamen auf Events Leute zu Ihnen und fragten: "Du, Renata, darf ich auch mal kommen?"
Schmidtkunz: Sie glauben gar nicht, wie viele! Und Sie glauben nicht, wer aller! Aber ich nenne keine Namen.
STANDARD: Bitte!
Schmidtkunz: Nein! Aber eines Tages rief mich eine Dame an, deren Namen ich noch nie gehört hatte. Sie stellte sich als Lore Heuermann vor und sagte: "Ich bin eine österreichische Künstlerin, ich werde jetzt 80 Jahre alt, es wird Zeit, dass Sie mit mir ein Gespräch machen." Ich war so geplättet vom Selbstbewusstsein dieser Frau, dass ich sofort Ja gesagt habe. Stellte sich heraus, dass sie die Ex-Frau vom Ossi Wiener war, und es wurde ein wirklich tolles Gespräch. Solche Menschen nahm ich immer gerne.
STANDARD: Wie haben Sie den Leuten abgesagt?
Schmidtkunz: "Sie passen nicht in mein Programm, sorry."
STANDARD: Gab's mal einen Punkt, an dem Sie dachten: Hach, ich bin so wichtig!
Schmidtkunz: (lacht) Das hätte ich viel öfter mal denken sollen! Warum haben Sie mich das nicht vor zehn Jahren gefragt?
STANDARD: Gab es mal eine Woche, in der Ihnen gar niemand eingefallen wäre, den sie einladen könnten?
Schmidtkunz: Ja.
STANDARD: Gab es Wochen, in denen es sich gestaut hat?
Schmidtkunz: Ja.
STANDARD: Kamen alle immer innerlich und äußerlich fit zum Gespräch?
Schmidtkunz: Einmal reiste die deutsche Medizinhistorikerin Barbara Duden mit dem Nachtzug aus Köln an und hat dann während des Interviews alle zehn Minuten geklagt: "Ich kann nicht mehr, ich bin so müde, ich schaffe das nicht!" Sagte ich zu ihr: "Frau Duden, legen Sie sich in meine Arme, ich trage Sie durch die Sendung." Oder die Maja Turowskaja, die fiel mir zweimal in Ohnmacht, bis wir das Gespräch zu Ende geführt hatten. Auch ich hatte mal Migräne und musste mich erbrechen ...
STANDARD: Strahlten manche Ihrer Gäste?
Schmidtkunz: Etwa der Schauspieler Martin Schwab, aus dem ist ein regelrechtes Goldstrahlen herausgekommen. Diese Sendung habe ich mir in der Nacht gleich noch drei Mal angehört, weil die einfach so schön war.
STANDARD: Waren welche verblüht?
Schmidtkunz: Manchmal gab es langweilige Menschen, wo man merkte, die sprechen in ihrem Narrativ, die haben ihre eigene Neugierde schon versenkt.
STANDARD: Gab es eine Reisekostenobergrenze, oder hätte der ORF Sie auch nach Australien fliegen lassen?
Schmidtkunz: Der hat mich nach Kenia fliegen lassen, wo ich Auma Obama, die Halbschwester von Barack Obama, getroffen habe.
STANDARD: Für welche Frau hätten Sie das wöchentliche Mann-Frau-Schema durchbrochen?
Schmidtkunz: Für die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis, mit der ich 2015 im Parlament ein Gespräch geführt habe, hätte ich alles liegen und stehen lassen. Als ich später einmal an der Rutgers University unterrichtet habe, kam mir zu Ohren, dass sie in New Brunswick einen Vortrag halten würde. Ich habe mir gedacht, dass sie danach sicher durch die Hintertüre rausgehen würde, also habe ich mich dorthin gestellt und auf sie gewartet. Als sie herauskam, entdeckte sie mich und sagte tatsächlich: "Hey, Renata! So nice to see you!" Ich habe mich sehr gefreut. Ein mitfühlender, ordentlicher Mensch, der mich sehr beeindruckt und berührt hat.
STANDARD: Wie leicht tut man sich noch mit "einfachen" Menschen, wenn man mit so vielen Stars Gespräche geführt hat?
Schmidtkunz: Ich komme aus einem evangelischen Pfarrershaus, da muss man mit allen Menschen können, und das tue ich auch. Nur mit arroganten Arschlöchern kann ich sehr schlecht.
STANDARD: Haben Sie als evangelische Theologin vor einem Gespräch auch das Gespräch mit Gott gesucht?
Schmidtkunz: (lacht) Im Sinne von gebetet? Nein.
STANDARD: Ist Gott nicht ohnehin der langweiligste Gesprächspartner überhaupt, weil er nie antwortet?
Schmidtkunz: Gott ist unsere Fantasie, und meine Fantasie ist recht blühend. Bei mir antwortet er immer! Ich habe einen sehr humorvollen Zugang zu ihm, und ich glaube, er auch zu mir.
STANDARD: Haben Sie mal schlecht geschlafen vor einem Gespräch?
Schmidtkunz: Immer. Jedes Mal! Weil ich mir jedes Mal gedacht habe: Dieses Mal schaffe ich es nicht.
STANDARD: Unterschied sich die Tagesroutine an Gesprächstagen von der an anderen Tagen?
Schmidtkunz: Immer. Sie war von Aufregung, Konzentriertheit und manchmal Gereiztheit geprägt, da wollte ich nicht, dass mich jemand anredet.
STANDARD: Haben Sie einmal die vorbereiteten Unterlagen zu Hause vergessen?
Schmidtkunz: Nein. Aber einmal hatte ich eine in Hamburg lebende Philosophin zu Gast. Weil ich unmöglich jede Woche 500 Seiten wissenschaftliche Texte lesen konnte, bat ich meinen damaligen Assistenten, mir ihr Buch über Philosophiegeschichte zu exzerpieren. Vor meinem Abflug nach Hamburg sagt er mir aber, er hätte das Buch nicht gelesen. Der Flug war die Hölle. Ich habe der Gesprächspartnerin dann ins Gesicht gesagt, dass ausschließlich sie reden müsse, weil ich keine Ahnung vom Inhalt ihres Buches hätte. Zwei Jahre später hat sie wieder ein Buch geschrieben. Als ich beim Verlag anfragte, wurde mir ausgerichtet, dass die Dame mit mir kein Gespräch mehr führen würde, es sei denn, ich könne ihr nachweisen, dass ich ihr Buch gelesen hätte. Also habe auch ich mit dieser Dame nie wieder ein Gespräch geführt.
STANDARD: Wann hatten Sie das Gefühl: So, jetzt habe ich mich aber wirklich genug vorbereitet!
Schmidtkunz: Man merkt das einfach. Ich mache mir immer ein Bild von einem Menschen, gehe von oben nach unten, denke: Den Kopf habe ich abgedeckt, den Bauch, die Füße. Ich mache das seit 26 Jahren, da bekommt man ein Gefühl dafür, wie tief man bei der Vorbereitung gehen muss.
STANDARD: Apropos Füße: War Fußgeruch unter dem Tisch bei Ihrem Gegenüber mal ein Thema?
Schmidtkunz: Nein. Aber einmal hat sich etwas anderes abgespielt unter dem Tisch. Da hatte ich den Alexander Van der Bellen kurz vor dem Wahlkampf zu Gast. Der ist ja wie ich evangelisch und hat wie ich in einem Posaunenchor im Kaunertal mitgespielt, weil das bei uns so üblich ist. Also habe ich mir gedacht, ich nehme meine Posaune mit, und als das Gespräch fertig war, hab ich sie unter dem Tisch hervorgeholt und ihn gefragt, ob er nicht mal was spielen wolle. Das hat er getan, und ich habe gesagt: Wissen Sie, was? Ich glaube, es ist besser, Sie werden Bundespräsident, denn Posaunist wird keiner mehr aus Ihnen. Und Bundespräsident ist er dann auch geworden.
STANDARD: Hat Sie einmal ein Gast mit sehr laschem Händedruck begrüßt?
Schmidtkunz: Ja, öfter mal.
STANDARD: Überrascht gewesen?
Schmidtkunz: Nein, meistens sieht man das ja, wenn einer lasch ist.
STANDARD: Haben Sie mal gedacht: Wann hat denn der zuletzt geduscht?
Schmidtkunz: Ja.
STANDARD: Hatten Sie einen Standardwitz auf Lager, um die Stimmung vorher aufzulockern?
Schmidtkunz: Nein.
STANDARD: Wer hat vor dem Gespräch gesagt: Bitte jetzt das Handy ausschalten?
Schmidtkunz: Ich.
STANDARD: Bei wem hat es dann trotzdem geläutet?
Schmidtkunz: Bei mir.
STANDARD: Nach wie vielen Minuten spätestens muss ein Gespräch in Schwung gekommen sein, damit es etwas wird?
Schmidtkunz: Nach spätestens fünf Minuten.
STANDARD: Wenn das nicht der Fall war – wurden Ihnen vor Stress die Ohren heiß?
Schmidtkunz: Einmal ist mir das passiert. Das war ein Mensch, der rein gar nichts zu sagen hatte, ich hatte überhaupt keine Ahnung mehr, wie ich die Stunde füllen könnte, das war anstrengender, als den Theorien eines Quantenphysikers zu folgen. Danach habe ich die Gäste immer vorher persönlich angerufen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sie sprechen ...
STANDARD: ... und ob sie sprechen!
Schmidtkunz: Und wie kommunikativ sie sind, ob sie humorvoll sind, ob ich das erreichen kann, was ich mir für diese eine Stunde vorstelle.
STANDARD: Gab es eine Mindestzeit, die das Gegenüber sprechen können musste?
Schmidtkunz: Es gab keine Vorgaben, ein Gespräch ist ja ein Gespräch. Man sollte, wenn man zu Hause zuhörte, zwei Menschen im Gespräch zuhören. Meine Fragen waren daher auch immer Gesprächsfragen und keine Interviewfragen. Was mir aber passiert ist – und nie meinen männlichen Vorgängern! –, dass man mir geschrieben hat, ich würde immer so viel reden, ich solle doch meine Gäste reden lassen! Da habe ich dann immer geantwortet – denn ich habe alle Zuschriften immer beantwortet! –, "Liebe Leute, wisst ihr denn eigentlich, was ein Gespräch ist? Mir ging es um die Sichtbarmachung einer Beziehung, die in einem Gespräch entsteht."
STANDARD: Wenn das nicht funktionierte?
Schmidtkunz: Dann war ich zwei Tage unzufrieden.
STANDARD: Haben Sie einmal den Fehler gemacht, mit den Gescheiten mithalten zu wollen?
Schmidtkunz: Nein. Aber ich habe mich schon immer vertieft in die Materien. Mein viertes oder fünftes Gespräch war ja gleich mit dem Herrn Nobelpreisträger Zeilinger. Die wunderbare Nora Aschacher, meine Chefin, hat mich drei Wochen lang mit einem Professor zusammengesteckt, der mir, so gut es ging, Physik und Mathematik erklärte, und ich denke, das hat funktioniert. Wenn ich etwas nicht genau wusste, konnte ich sagen: Das und das habe ich in Ihrem Buch so verstanden, stimmt das? Dann habe ich es mir erklären lassen, und somit den Zuhörern zu Hause auch.
STANDARD: Wem sind besonders selbstbewusste Männer begegnet, wenn Sie bei Ihnen zu Gast waren?
Schmidtkunz: Einer besonders selbstbewussten Frau.
STANDARD: Durfte man Sie duzen?
Schmidtkunz: Nein, nur mit der Freda Meissner-Blau, die ich sehr verehrt habe, und mit der Erika Pluhar, die ich lange kannte, habe ich mich geduzt. Aber da habe ich die Verhältnisse auch vorher erklärt.
STANDARD: War's mal zum Weinen?
Schmidtkunz: Ja. Beim Schauspieler Jörg Hartmann, der aus irgendeiner Kleinstadt in Deutschland stammt und Tatort-Kommissar ist. Bei einer Frage nach der Zukunft sagte er, er sieht das nicht so rosig, was auf uns zukommt. Da waren wir beide sehr berührt, mit Tränen in den Augen. Wir waren uns für die Zeit des Gesprächs total nah, auch weil wir über den Ruhrpott gesprochen haben, wo wir beide herkommen. Und nach dem Ende der Sendung haben wir nie wieder voneinander gehört. (lacht)
STANDARD: Gab es auch viel zu lachen?
Schmidtkunz: Ich habe zum Beispiel sehr viel gelacht mit dem Adolf Holl, den ich schon ewig kannte, wir haben uns gegenseitig immer geneckt.
STANDARD: Als Club 2-Moderatorin haben Sie einen Gast auch einmal gebeten, sich ordentlich hinzusetzen. Sind Form, Benehmen oder Etikette Voraussetzung, um überhaupt ein gutes Gespräch führen zu können?
Schmidtkunz: Vom Peter Huemer, meinem Vorgänger, habe ich gelernt: Wir sind dem Publikum schuldig, dass wir uns gut vorbereiten, und das ist keine Streberei, wie mir ja auch öfter mal unterstellt wurde! Genauso sind wir es dem Publikum, unserem Arbeitgeber, schuldig, dass wir uns ordentlich anziehen und hinsetzen, wenn wir miteinander reden. Auch im Radio.
STANDARD: Wie lange halten Sie Schweigen aus?
Schmidtkunz: Ich kann jemandem sehr lange zuschauen, wie sich in seinem Kopf etwas tut oder nichts tut, von mir aus auch die ganze Stunde. Im Studio bin ich ja das Amt, das ich ausfülle, da nehme ich Schweigen nicht persönlich.
STANDARD: Welchen Wert hat denn Ruhe, wenn man ständig Gespräche führt?
Schmidtkunz: Ich liebe die Ruhe. Ich brauche die Ruhe. Ich halte den Lärm nicht aus, das ist gar nix für mich!
STANDARD: Wer hat denn hinterher immer das Studio aufgeräumt?
Schmidtkunz: Entweder meine liebe Kollegin Sandra Knopp, ohne die ich das alles nicht geschafft hätte, oder ich habe zu ihr gesagt, wenn ich nach der Sendung total erschöpft war, Sandra, du begleitest jetzt bitte den Gast hinaus, und ich räume auf. Intensive Gespräche sind ja unglaublich anstrengend.
STANDARD: Könnte man Ihre alten Sendungen irgendwo gesammelt finden – was nicht der Fall ist! –, würden Sie diese noch einmal anhören?
Schmidtkunz: Ja, das würde ich gerne tun. Mit T. C. Boyle oder der Kärntner Bergbäuerin ... Ich verstehe überhaupt nicht, wie der ORF mit seinem großartigen Archiv so schlecht umgeht, die Marke Im Gespräch ist praktisch unauffindbar. Dabei könnte man doch aus dem Archiv so viel lernen. Wenn die Leute hören könnten, was wir in den 1970er-Jahren für Sendungen gemacht haben: frei, demokratisch, auf die Zukunft ausgerichtet ...
STANDARD: Wohingegen heute?
Schmidtkunz: Dazu sage ich nichts.
STANDARD: Danke, dass ich mit Ihnen ein Gespräch führen durfte.
Schmidtkunz: Ich bedanke mich.