Hobby: Briefmarkensammler
Fotos: Christian Fischer
Am Wiener Getreidemarkt versammeln sich Österreichs emsigste Briefmarken-sammler. Es gibt kein Thema, das nicht auf einer Marke abgebildet wäre. Ein sehr spezieller Besuch
03.02.2025 im STANDARD
Heute ist richtig was los beim Verband Österreichischer Philatelistenvereine (VÖPh) am Getreidemarkt. Eine Dame von der Post hat ihr Sonderpostamt aufgesperrt, um bis 18 Uhr ausgegebene ME3-Blöcke zu stempeln. Vor der Türe wartet bereits Paul Nowak, der, wenn man so will, ein typischer Vertreter des Briefmarkensammlers seiner Generation ist.
Der 82-Jährige legte ab 1960 seine Sammlerschwerpunkte auf Uno und Wien, wofür er bei der Post entsprechende Abos abschloss: "Da brauch ich mich um nix kümmern, die Marken kommen, und ich ordne sie einfach ein!" Um die 3800 Motive, sagt er, habe die Österreichische Post seit Einführung der Briefmarke 1850 herausgegeben, er selbst habe alle ab der Nummer 50. Seine Freunde nennen ihn deswegen "Geldvernichter", denn finanziellen Wert habe das alles keinen: "Wenn ich davon welche verkaufen wollt’, müsst’ ich dem Käufer noch Geld nachschmeißen!" Andererseits: "Ich hab mit dem Schmarrn halt angefangen!" Und jetzt kann er damit nicht mehr aufhören. Die Kinder aber werden ihm seine Sammlung nicht abnehmen: "Der eine Sohn sagt: Voda, wos mach i mit dem Schaas?" Dem antwortet er: "Na gut, dann geb ich’s halt deinem Bruder." Der meint: "Okay, ich geb’s meinen Kindern." Für die aber hat Nowak bereits eigene Sammlungen. Nun füllt er seinen 13. Lindner-Ordner mit Marken, alle fein säuberlich in Klarsichtfolien.
Geldvernichtung aus Liebe
Alfred Graf, 85-jähriger Obmann der Region Wien, kennt solche Sammlerschicksale zur Genüge: "Alle, die Schwerpunkt Zweite Republik Österreich gesammelt haben, sind um ihr Geld mehr oder weniger umgefallen. Obwohl die Briefmarke von der Post nach dem Krieg als Investition propagiert und als Aktie des kleinen Mannes vermarktet wurde." Damals lagen die Erstauflagen bei drei Millionen je Motiv, heute bei höchstens 150.000.
"Im Prinzip gibt es kein Thema, das nicht auf Briefmarken abgebildet ist", sagt Helmut Kogler, Präsident des VÖPh. Der 72-Jährige sammelt Handballmotive, weil er selbst einmal auf höchstem Niveau gespielt hat, seine Kinder sammeln Pferde- (die Tochter) oder Pfadfindermotive (der eine Sohn). Als 14-Jähriger kaufte er sich eine Schweizer Sammlung, die ihn sein gesamtes Taschengeld für ein Jahr gekostet "und einen Wickel mit dem Papa eingebracht hat". Mit 18 ließ er das Sammeln bleiben. Die nächsten 15 Jahre lag alles in einer Schachtel, bis seine Frau sie entdeckte: "Mah, das ist so ein schönes Hobby", meinte sie. "Bitte tu damit weiter!" Heute, lacht er, bereue sie es ein bisserl, denn der Zeitaufwand sei enorm.
In diese verirrt sich am Ende doch noch eine Frau. "Die Oma ist viel gereist und hat uns von überall Postkarten geschickt", erzählt Sybille, die nun Motive ihres Spezialgebiets Flora und Fauna sammelt. Allerdings: "Ich bin Postcrosserin! Das ist so ein Internet-Ansichtskartenspiel, wo man sich registrieren muss und dann Postkarten um die Welt schickt oder erhält." Obmann Graf hat für solch moderne Auswüchse freilich nichts übrig, er redet lieber von früher: "Von der Front in die Heimat und von der Heimat an die Front wurden täglich sechs Millionen Postkarten verschickt."
Auch weil die Briefmarke nur ein Schwerpunkt innerhalb der Philatelie ist, "die das systematische Sammeln von Postwertzeichen sowie von Belegen für ihre Verwendung auf Postsendungen jeglicher Art umfasst" (Wikipedia). "Und jetzt vergessen S’ bitte einmal die Zahlen!", sagt Graf, und er meint damit Fragen wie: "Was ist die Marke wert? Wie viele haben Sie?" Das alles sei uninteressant. Buchautor Schubert ergänzt: "Philatelie wird immer mit wertlos einerseits oder enormen Werten andererseits in Verbindung gebracht. Interessant ist aber der Bereich dazwischen!" Man könne Sonderstempel, Ersttagsstempel, Automaten- oder Dispensermarken sammeln. Mancher spezialisiert sich auf alte Briefe oder Vorphilatelistisches, Erste Republik oder Reko-Zetteln. Wieder andere suchen mit der Lupe nach Plattenfehlern bei den Drucken oder Zähnungsverschiedenheiten, nach abgeschleckten oder unberührten Gummierungen. Finden tut man das nicht mehr in den abgegriffenen Schachterln der Tandler, sagt Schubert, denn: "Die sind alle 248-mal durchwühlt!" Online-Auktionen seien interessant, seit Corona hier ausnahmsweise durch die Verlagerung ins Netz etwas Gutes bewirkt habe.
Graf steht dem Wiener Verband seit 2010 als Obmann vor, und seit damals, sagt er, musste er 13 Vereine auflösen. "Traurig, traurig!" Österreichweit gebe es noch circa 200 Vereine und Sektionen mit circa 7000 Mitgliedern, was im internationalen Vergleich viel sei. Bei der Vindobona, "einem der ältesten aktiven Briefmarkenklubs der Welt", sammelt ein 104-Jähriger, das Durchschnittsalter der Sammler liegt bei 75. Der Sekretär des VÖPh, Friedrich Windbichler, ist mit seinen knapp 50 Jahren der Jüngste, hat aber auch schon 200 volle Mappen. Die Philatelie insgesamt leidet sowohl unter Frauen- als auch Nachwuchsmangel. Noch in den 70er-Jahren, weiß Graf, gab es allein in Favoriten 30 Schülergruppen, die sich in der Knöllgasse, der heutigen "Problemschule", zum Austausch trafen. Ach, ist man versucht zu sagen: Würden die Kinder doch wieder Briefmarken sammeln!
Der Strafsammler
Graf selbst kam zum Sammeln, als er 14-jährig das Album seines Vaters zu Boden schmiss und es zur Strafe sortieren und wieder einräumen musste – "selbstverständlich mit Pinzette". Danach hat er praktisch nicht mehr aufgehört zu sortieren und einzuräumen, denn die Briefmarke sei für ihn "Transporteur und Zeuge von Kultur und Zeitgeschichte". Außerdem interessiere ihn die Grafik, "die kleinen Kunstwerken gleicht". Und dabei seiner Erfahrung nach verrate: "Je mieser es den Leuten ging, desto schöner waren die Marken."
Buchautor Wolfgang Schubert ist auf Reko-Zettel spezialisiert – die österreichische Bezeichnung für einen Rekommandationsbeleg beim Einschreiben. Mit 20 wollte er von jedem österreichischen Postamt einen Beleg haben, dies erwies sich aber als nicht realisierbar. Also konzentrierte er sich auf die Postämter Wiens, die ab 1892 bis Ziffer 157 durchnummeriert wurden, und besagte Zettel. In seinem Buch finden sich nun zig Belege (Briefe, Postkarten, Postbegleitkarten ...), die er als "Zuckerln" bezeichnet und für die er ordentliche Summen bezahlt habe. Für ihn sind solche Belege "Geschichte zum Anfassen", etwa jene Karte von Marie Valerie, der vierten Kaisertochter, die sie an den Erzieher ihrer Kinder schickte und die nun in einem der Schaukästen in den Verbandsräumlichkeiten ausgestellt ist.
Dass auch wir heute noch wissen, was auf manchen dieser Karten stand, verdanken wir den Sammlern.