Schellacks, Schellacks, Schellacks
Sandra Hartbach und Axel Schwarz haben sich dem Swing verschrieben. Wenn sie nicht dazu tanzen, wählen sie als DJs aus ihrer 10.000 Platten umfassenden Sammlung aus
10.03.2025 im STANDARD
Sandra Hartbach und Axel Schwarz haben sich dem Swing verschrieben. Wenn sie nicht dazu tanzen, legen sie als DJs aus ihrer 10.000 Platten umfassenden Sammlung auf
Da haben sich – im besten Sinne! – zwei gefunden. Und zwar in der klassischen Tanzschule, wo sie beide "in bester Wiener Tradition" zu tanzen begonnen haben. "Das ist aber schon ziemlich viele Jahre her!", lacht Sandra Hartbach. Dort lernte sie Axel Schwarz kennen. Zusammen haben sie bereits in ihren frühen Twen-Jahren die "Formation" der Tanzschule selbst choreografiert und geleitet.
Diesen selbstbewusst professionellen Zugang haben sie sich erhalten, auch als sie längst in eine ganz andere Richtung tanzten. "Irgendwann war es uns dort nämlich nicht mehr lebendig genug", erzählt Axel. "Nicht die Tänze, aber die ausgewählte Musik wurde ein bisschen seelenlos." Swing-Musik hingegen – spürt man die im Zeh? "Ja!", sagt er begeistert. "Weil sie facettenreicher und verspielter ist. Selbst wenn ich ein Stück 200-mal gehört habe, denke ich mir beim nächsten Mal: Was die Gitarre da macht, das ist mir so bislang noch gar nie aufgefallen!"
Vom Rap in den Swing-Swag
Dabei hörte Sandra damals vor allem Soul, Funk und Hip-Hop, und als sie mit Swing-Tanz anfingen, steckte sie sogar tief in ihrer Rap-Phase. "Es war neun Uhr früh an einem Samstag, als wir zum ersten Kurs in einer muffigen Turnhalle gingen, ich war todmüde." Aber dann hörte sie die ersten Takte der Musik, "und plötzlich war ich munter und gut drauf, was beim Rap fix nicht der Fall war!".
Bald darauf hatten sie auch noch das Glück, beim damals bereits 93-jährigen Lindy-Hop-Großmeister Frankie Manning ein paar Stunden nehmen zu können. "Das war 2007", schwärmt sie, "und der ältere Herr hat geflirtet wie ein Weltmeister." Dazwischen erzählte Manning auch noch begeisternde Geschichten über den Savoy Ballroom in Harlem, der von 1926 bis 1958 existierte und neben dem Cotton Club zu den bekanntesten Clubs der Swing-Ära zählte. Diese Roaring Twenties muss man sich als sehr lebendig und frei vorstellen, als eine Zeit des Aufbruchs, in der Frauen eine neue moderne Weiblichkeit definierten, sich Entertainment und Kunst immer weiter annäherten.
"In unserem Kulturkreis aber", erklären Axel und Sandra, "denken wir beim Tanzen zunächst an vorgegebene Figuren und Schritte, die man sich merken muss. Und wie die Leute unglücklich dreinschauen, wenn ihnen diese Choreografie nicht gelingt." Oder an die "Perfektion", die Übungsabende in den Tanzschulen also, die schon der Gschupfte Ferdl "beim Thumser draußn in Neilerchnföd" besucht hat. "Es gibt ganze Bücher darüber, in welchem Winkel zur Wand der Fuß zu stehen hat. Bei den Standardtänzen führt einer an, und der andere folgt."
Ein kleiner Lamourhatscher
Und beim Swing? Grob gesagt könne man als Paar "open" oder "closed" tanzen, erklärt Sandra. "Zu meist mittelschneller Musik den Lindy Hop, zu schneller Musik den eleganten und dynamischen Balboa und zu Up-tempo-Swing den Collegiate Shag." Beinahe vergessen seien Tänze zu Lamourhatschern wie der Laminu, "für den wir uns seit Jahren in unserem Verein engagieren". Der heißt "Balboa, Baby!", weil genau das ihre Antwort auf die ständigen Fragen war, was sie denn da gerade tanzen würden.
Bei all diesen Tänzen gehe es nicht darum, eine Figur zu tanzen oder etwas "richtig" zu machen, sagen die beiden. "Vielmehr unterhält man sich tanzend, die Leute sind happy und interpretieren die Musik mit ihrem Körper." Zwar gebe es ein paar Grundprinzipien, aber den Rest mache man sich aus. Außerdem könne man überall auf der Welt allein zu einem "Social" gehen – zu einem freien Tanzabend – und dort "Inklusion erleben und für eine Stunde aus unserer so belastenden Welt aussteigen". Ganz wichtig: "Es wird bei diesen Tänzen nicht gejudgt – also nicht gewertet!"
Die Vienna-Balboa-Experience
Als sie in Wien zur Swing-Szene stießen, entwickelte sich diese gerade erst aus der Boogie-Woogie-Szene heraus. Eine einzige Band – 5 In Love – spielte damals Swing-Musik, zu der man tanzen konnte, "da war viel Louis Jordan und Jump Blues dabei", erklärt Sandra. Heute aber gebe es zahlreiche Bands und neben ihrem eigenen, vor zwölf Jahren gegründeten Verein noch einige weitere mit jeweils eigener Philosophie. Geschätzt 200 Menschen hätten in Wien Swing getanzt, als sie damit anfingen, heute seien es tausende, die in Kursen, bei Socials oder ihrem eigenen Festival – der Vienna Balboa & Laminu Experience – auftauchen. Dieses veranstalten sie heuer bereits zum elften Mal, und bei dem erfüllten sie sich auch einen ihrer größten Träume: endlich einmal für Wiener Swingtänzer große Orchester spielen zu lassen, von denen sich die besten in Tschechien und der Slowakei finden ließen. "Das war episch!", schwärmt Sandra.
2016 fingen die beiden schließlich auch noch an, aufzulegen und dafür originale Schellackplatten zu sammeln. Zunächst brauchten sie dafür einen Plattenspieler mit 78 Umdrehungen und einem Nadelsystem für die breiteren Rillen. "Der Klang der Schellacks ist einfach wärmer, runder und wohliger als bei elektronischer Wiedergabe", sagt er. Die erste Platte, nach der sie aktiv suchten, war Skyliner von Charlie Barnet. Zu ihrer umfangreichen Sammlung zählen mittlerweile Aufnahmen von Aleksandar Zfasman, der 1939 in Moskau den Song Joseph, Joseph interpretierte, oder "großartige Platten mit Township-Jive und Kwela-Jazz aus dem Südafrika der frühen 1960er-Jahre". In einem feuchten Keller auf Hawaii fanden sie japanische Pressungen, und ein Sammler in Uruguay bot im Internet argentinische Bands an, von denen sie noch nie gehört hatten. Manches davon kostete sie im Antiquariat 50 Cent, aber sie bezahlten auch schon einmal 800 Euro für eine Platte.
Swing, das ist Leben
Bei der Suche nach diesen Schätzen "genießt man oft den Duft von Omis Keller", lacht sie. "Daher wird jede Platte zuerst mit der guten alten Knosti-Plattenwaschmaschine gewaschen." Solcherart "geschnäuzt und gekampelt" kommt jede Schellackplatte in eine nummerierte Hülle zu den rund 10.000 anderen, die sie mittlerweile haben. Von denen packen sie dann meist 80 bis 100 für ihre DJ-Sets ein, die sie für "Swing-Socials, Partys, Firmenfeiern, Hochzeiten oder Bälle" anbieten.
"Der typische Schellack-DJ ist männlich und über 50", erklärt sie. "Außer mir gibt es in Wien keine Frau, die Swing mit Schellacks auflegt, und außer uns kein Paar, das gemeinsam die Schellacks dreht." Dabei trägt sie mittlerweile lieber Discoglitter als klassische Vintage-Outfits, und dafür schleppt sie die 200 Kilo schwere Ausrüstung auch gerne allein zum Veranstaltungsort.
"Wenn wir gemeinsam auflegen und richtig in Fahrt kommen", schwärmt Axel, "dann passiert es häufig, dass einer von uns beiden die nächste Platte vorschlägt, während der andere sie bereits in der Hand hält." Daher Vorsicht! "Die Freude der Swingmusik und des Tanzens dazu kann Ihr Leben zum Positiven verändern."