Glamorous Vintage
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Birgit Haindl verkauft und verleiht in ihrem Geschäft im 6. Bezirk Vintage-Schätze aus den 70er-Jahren. Vor allem aber schwelgt sie in der Zeit
31.03.2025 im STANDARD
Reden wir also von früher: "Um die Ecke in der Esterházygasse", erzählt Birgit Haindl, "wo ich in Nummer 15 A aufgewachsen bin, hatten alle einen beigen VW-Käfer. Wenn die zugeschneit waren, dann war die Straße eine Abfolge von weißen Hauben, und keiner wusste, unter welcher Haube sein Käfer war."
Damals gab es halt noch richtige Winter, als ihre Eltern am 1. Februar 1956 das Modegeschäft samt Nähzubehör an der Ecke Gumpendorfer Straße übernahmen. Vor Jahren kam einmal ein alter Mann zu Haindl herein und erzählte, dass er schon vor dem Krieg als Lehrling hier Schachteln in die Regal geräumt habe. Verändert hat sich seither nichts, bis auf das Sortiment natürlich. Sogar die zerschnittenen Holztüren, die als Regale und Stellage verbaut wurden, sind noch immer die gleichen.
Haindl ist im Juli 1960 geboren, genau sieben Jahre vor dem "Summer of Love". Die 70er-Jahre wurden ihre Leidenschaft. Oft fuhr sie mit der Mutter auf Modeschauen und konnte hineinschnuppern in die Welt der Glockenhosen und Hemden mit breiten Krägen. "Eine Schneiderin hat mir eine giftgrüne Glockenhose mit Latz gemacht, die Glocken konnten nicht weit genug sein." Leider ging die Hose schon bei der ersten Wäsche ein.
Zu Weihnachten 1971 bekam sie den heute legendären Kassettenrecorder ITT Schaub Lorenz SL 55 automatic geschenkt: "Den hab ich mit dem externen Mikrofon zum Radio in der Küche gestellt und mir damit Die großen 10 von Ö3 aufgenommen." Heimlich natürlich, denn: "Kaum kam der Vater in die Küche, musste ich das Radio abdrehen, weil der das nicht ausgehalten hat. Ich war ein Einzelkind, ein Mädchen, es war mir alles verboten."
Im Sommer 1973 nahm sie This Flight Tonight auf, eine Joni-Mitchell-Nummer als Coverversion der schottischen Hardrockband Nazareth: "Das Lied meines Lebens!" Sogar in der Auslage ihres Geschäftes hat sie den Songtitel verewigt. Neben Nazareth hörte sie Golden Earring oder Rory Gallagher, Chirpy Chirpy, Cheap Cheap von Middle of the Road oder das Duo Mouth & MacNeal mit Hello-A.
Was sie auch total begeisterte: "Im Jahr 1974 kam die Rockoper Tommy von The Who heraus." Auf die wurde sie in der Handelsschule in der Neubaugasse aufmerksam, wo man sie im Religionsunterricht behandelte. "Den Film habe ich mir 13-mal angeschaut!" Ab da wollte sie nur noch Englisch lernen, "das war mein Hauptziel." Denn auf dem Plattencover standen die Songtexte, die sie endlich verstehen wollte. 1981 flog sie zum ersten Mal nach London, um einen Sprachkurs zu besuchen.
Neben ihrer Arbeit schaffte sie die Externistenmatura und studierte nebenher Anglistik und Germanistik. "Als aber der Vater von einer Minute auf die andere verstorben ist, war es notwendig, das Geschäft zu übernehmen." Vier Jahre später starb auch die Mutter, und während sie über den Verlust trauerte, spürte sie auch Erleichterung: "So, jetzt mach ich nur mehr das, was ich liebe!" Und das war eben die Mode der 70er-Jahre.
Was diese angeht, hat sie eine eigene Theorie: "Damals haben alle einen Schwarz-Weiß-Fernseher gehabt, die bunte Mode war ein willkommener Gegenentwurf." Die Kleidung heute sei grau, ohne Schnitt und ohne Dekors: "Alles ist plain." Auch habe sie keinen Wert, anders als damals: "Zu jedem Hemd bekam man einen zweiten Kragen dazu, den man sich drannähen konnte, wenn der erste ruiniert war." Mit weggeworfener Kleidung würden aber heute ganze Wüsten vermüllt.
Tanz auf dem Plateau
1997 flog sie abermals nach London und lernte auf einem Markt bei Covent Garden einen kennen, der mit Seventies-Vintage-Kleidung handelte. Dort wählte sie aus, was sie nach Österreichs EU-Beitritt ganz legal im Koffer mitnehmen konnte: Overalls, Hemden, Glockenhosen, Badehosen, Tuchschalkrawatten oder Plateauschuhe. Sie selbst trug mal welche in Gelb-Weiß mit Korksohle, "aber die hat nicht lange gehalten". Sie verkaufte Peace-Anhänger, Plastikketten und selbstgefertigte Stirnbänder: "Die gehören in der Mitte der Stirn getragen, deshalb heißen sie ja Stirnbänder." Einen transparenten Original-1968-London-Regenhut mit Flower-Power-Design in Gelb, Rosa und Giftgrün hat sie noch heute, Gürtel mit Bändern zum Binden oder "das Hemd mit dem größten Kragen, den ich je gesehen habe". Die 250 Euro, mit denen es angeschrieben ist, nennt sie einen "Liebhaberpreis", die meisten Teile kosten 190 Euro, sollte sie jemand unbedingt kaufen wollen. Aber insgeheim hofft sie, dass ihre Preise alle abschrecken, denn eigentlich möchte sie kein Teil missen.
Erst versorgte sie Wiens Clubbing-Szene mit "tragbarem und partytauglichem" Vintage-chic. Bald aber sagten welche, dass sie die Sachen nur einmal tragen würden, und so gründete sie ihren Verleih: 35 Euro bezahlt man pro Teil. DJ Tommy Vitera von Radio Wien kleidete sie gratis ein, wenn er bei den "Wickie, Slime & Paiper"-Partys in den Sofiensälen auflegte. "Mit einer Afroperücke, braunem Hemd und Leopardenhose". Auch "Austin-Powers-Clubbings" hatten im Museumsquartier lange Zeit viele Fans, "heute interessiert der keinen mehr". Und überhaupt: "Corona hat die Partygemeinde erledigt. Die Älteren sagen: Ich hab’s eh erlebt, jetzt brauch ich das nimmer." Und die Jüngeren sitzen daheim und spielen Uno.
Ein paar Jahre lang versuchte sie es noch mit ihrem eigenen Seventies-Clubbing im Theater Brett, aber 2010 versandete auch dieser Versuch, die 70er-Jahre bis in alle Ewigkeiten zu dehnen. Good Old Hollywood Is Dying wollte endgültig keiner mehr hören, This Flight Tonight niemand mehr buchen.
Stand heute hat sie kein einziges ihrer Vintage-Stücke verliehen, jedes hängt gewaschen an seinem vorgesehenen Platz in ihrem Geschäft, alles hat seine Ordnung. "In Wirklichkeit ist das mein Museum", sagt sie. Ein Museum, das sie noch jeden Mittwochnachmittag für drei Stunden aufsperrt. Zu Hause würde es ihr sonst fad werden, sagt sie. Soll sie dort vielleicht in der Küche sitzen und an ihrem Handy die Songs von Beyoncé oder die eines breitbeinigen Rappers streamen? Lieber kommt sie hierher und ist glücklich.