Spaziergang durch Wien-Fünfhaus
Mein täglicher Morgenspaziergang startet bei einem Café in der Hütteldorfer Straße, in dem und vor dem seit zwanzig Jahren die gleichen Männer mit mir zusammen alt werden. Die Frage, wie man den ganzen Tag lang überhaupt nichts tun kann außer Karten spielen und kiffen, wird hier eindrucksvoll beantwortet. Die Wolken der Öfen, mit denen diese Männer jeweils paarweise um den Häuserblock ziehen, lösen sich bis zum Abend kaum auf. Einmal fing ich mit einem von ihnen zu streiten an, weil er nachts vor meinem Fenster während des Kiffens auch noch stundenlang telefonierte, mit Lautsprecher. "Hast du keine Kopfhörer?", lautet in solchen Fällen meine hilflose Frage.
Die Änderungsschneiderei auf der Märzstraße einen Block weiter schmückt ein Foto von mir mit der sehr sympathischen Änderungsschneiderin (auch ihren Änderungsschneiderbruder mag ich sehr!), die mir seit zwanzig Jahren die Anzughosen richtet. 107 cm sollen sie jeweils lang sein, obwohl mir in letzter Zeit vorkommt, dass 108 cm meine weißen Beine noch besser schmücken würden. Werde ich pedantisch?
Sorgen um seine Hosen macht sich der Obdachlose im Reithofferpark, den ich jeden Morgen durchquere, nicht. Er liegt dort seit Monaten auf einer Parkbank, sein Schicksal rührt mich, aber was kann ich tun? Wohl genauso wenig wie gegen den Dreck. Die bewundernswerten Herren der MA 48, die sich darum kümmern müssen, haben im Unterschied zu mir vermutlich längst aufgehört, sich zu fragen, was für ein Schwein "der Mensch" ist: Überall hängen hier Mistkübeln herum, aber jeder lässt seine Hauferln genau dort liegen, wo seine Füße stehen. (Ein paar Wochen lang beobachtete ich dort auch ein junges muslimisches Mädchen beim mutmaßlich heimlichen Händchenhalten mit einem gleichaltrigen Romeo – von einem Tag auf den anderen waren sie weg, ich machte mir Sorgen.)
An Wochentagen passiere ich die Schule in der Benedikt-Schellinger-Gasse, wo ab sieben Uhr früh die Eltern in ihren Autos vorfahren und den Motor laufen lassen – bis sie die kleinen Einsteins (w/m) mit ihren Smartphones endlich das Gebäude betreten lassen. Da haben die meisten von denen schon eine lange schlaflose Nacht hinter sich gebracht, ein Handyverbot nur an den Schulen wird nicht reichen. Das ist meine Meinung.
Quere ich die Felberstraße in Richtung Schweglerbrücke schon vor dem Zebrastreifen, begebe ich mich verlässlich in Lebensgefahr. Viele Autofahrer beschleunigen, sobald sie auf der Straße etwas entdecken, das kein Auto ist. Sie fühlen sich stark dabei. Auf dem Gehsteig der Schweglerbrücke kommen mir Scooter-Fahrer in ihren Hoodies, die in ihr Smartphone starren, oder Lastenfahrradfahrerinnen mit ihren Dutts, die in ihr Smartphone starren, entgegen. Mein sachlicher Hinweis, dass die Straßenverkehrsordnung ihnen einen Platz abseits des Gehsteigs zugewiesen hätte ("Hearst, foahr auf da Straßn!"), bewirkt nichts.
Traurig darüber, ändere ich meinen Plan, über die Grenzgasse, in der einige der dunkelsten Häuser der Stadt stehen, in mein Büro zu hatschen und dort einen arbeitsreichen Tag zu starten. Stattdessen biege ich von der Brücke hinunter in die Rosinagasse ab, wo unlängst ein paar Häuser weggerissen wurden. Durch die gehe ich nach vor zur äußeren Mariahilfer Straße, wo sich an der Ecke eine Apotheke befindet, an der die Suchtkranken auf ihr Substitut warten. Mein Ziel aber ist die gegenüberliegende hervorragende Bäckerei, in der ich früher meiner eigenen Sucht nachgab und jeden Morgen ein Meraner Kipferl zum Frühstück aß. Bis mir fünf Kilo Butter an der Wampe hingen, seither muss ein Roggenweckerl genügen.
Sympathischer Trafikant
Neben der Bäckerei ordiniert der sehr sympathische Trafikant, bei dem ich zu Wochenbeginn stets "Drei Eurotipps, einen Joker" in Auftrag gebe, meine einzige realistische Chance auf Reichtum. Für mehr als 4,80 Euro "Gewinn" hat es freilich noch nie gereicht, kann sein, dass ich bald Pflastersteine schneiden muss.
Noch erledigt diesen Job der sehr bewundernswerte Bauarbeiter, der hier seit vielen Monaten die Flex bedient, acht Stunden lang hat er dabei nicht einmal Zeit zum Kiffen! Das 1911 eröffnete ehemalige Handl-Kino an der Ecke zur Sperrgasse, das ich nun passiere, soll abgerissen werden, und an der Baulücke, die während der letzten Jahre Wild im West hieß, entstehen Eigentumswohnungen. Kein Wunder, dass die linksradikalen Schmierereien in der Gegend zunehmen!
Ich selbst bleibe ein Vertreter der Mitte und kaufe beim anatolischen Bäcker, wo seit vielen Stunden gebacken wird, noch ein Kipferl um einen Euro als Jause für den Tag, an dem ich mich nicht nur einmal frage werde, wer wohl den 250-Millionen-Euro-Jackpot gewonnen hat? Hätte ich ihn gewonnen, könnte ich mal zwanzig Jahre lang nichts tun. (Manfred Rebhandl, 18.4.2025)