Beruf: Hornkammmacher

Foto: Christian Fischer für DER STANDARD

Thomas Petz produziert in seiner Werkstatt im 6. Wiener Gemeindebezirk Kämme aus Horn wie vor 180 Jahren. Vom seinem Großvater hat er das Handwerk gelernt.

03.01.2023 im www.derstandard.at


Was einem sofort in die Nase dringt im Wiener Werkstättenhof an der Linken Wienzeile im sechsten Bezirk, das ist dieser beißende Geruch. Und dann staubt es natürlich auch immer ganz ordentlich dort, wo Hornkämme hergestellt werden. Besitzer Thomas Petz aber gibt gleich Entwarnung: "Mein Großvater Friedrich wurde 84 Jahre alt, obwohl er nebenher noch ein paar Packerln Zigaretten am Tag rauchte." Und Großmutter Eleonore wurde sogar 95.

Beide zusammen standen viele Jahrzehnte lang in der Werkstatt, die damals noch im 15. Bezirk war, und produzierten Schuhlöffel, Bürsten, Armreifen oder kleine Löffelchen. Und eben Kämme. "Dabei kannten sie keinen Staubsauger", sagt der Enkel, "sondern nur den Besen, mit dem sie alles sauber machten." Seine beiden Mitarbeiterinnen tragen heute freilich schon Masken, während sie an verschiedenen Maschinen Kämme schleifen und polieren.

Petz führt die Hornmanufaktur in sechster Generation. "Das heißt: eigentlich in fünfter", sagt er, "denn eine Generation hat ausgelassen." Von Tobias Petz, dem ersten Hornkammmacher der Familie, hängt ein Gesellenbrief aus dem Jahr 1842 in seinem Geschäft in Graz, gegründet wurde das Unternehmen aber erst 1862.

"Früher, muss man sich vorstellen, war alles, was heute aus Plastik ist, aus Holz, Elfenbein, Schildpatt oder eben aus Horn. Die Hornkammmacher waren eine Zunft mit eigener Innung, in ganz Österreich gab es ungefähr 200 Kammmacherbetriebe." Eigene Firmen hätten ausschließlich Hornplatten gepresst, und in Frankreich, erzählt Thomas Petz, gab es ein Dorf, in dem ausschließlich Kammmacher wohnten. Sein Großvater war der letzte, der in Österreich einen Meisterbrief besaß, nach ihm wurde die Innung aufgelöst. Größere Aufträge für das Bundesheer beispielsweise nahm er aber trotzdem gerne entgegen.

Das Horn kommt aus Afrika

"Ich habe öfter bei den Großeltern in der Werkstatt gespielt", sagt Petz, "und der Geruch war immer etwas Besonderes." Manchmal durfte er dem Großvater auch helfen, wenn dieser mit der Bandsäge ein Horn schnitt. "Trotzdem hatte ich bis Anfang 20 mit diesem Handwerk nichts am Hut, ich habe gar nicht verstanden, welches Juwel meine Großeltern uns da hinterlassen haben." Erst sein Vater vermittelte eine Übergabe des Betriebes an ihn, nachdem er zwei Jahre lang in einer anderen Branche tätig gewesen war. Der Beruf des Kammmachers ist ein freies Gewerbe. Bereut hat er es seither nie, dass er sich von seinen Großeltern alles hat beibringen lassen, "obwohl es staubig und laut ist. Man braucht Leidenschaft für diesen Beruf."

Und für das Produkt. Seit beinahe 20 Jahren bezieht er seine Rinderhörner über italienische Großimporteure aus süd- und zentralafrikanischen Ländern. Heimisches Rinderhorn, sagt er, könne er nicht verwenden, es sei zu kurz und zu dünnwandig. "In Europa ist das Horn ein Abfallprodukt der Fleischindustrie." Noch vor einigen Jahrzehnten freilich lieferten auch Zugtiere aus Ungarn brauchbare Hörner, "aber mit dem Aufkommen der Traktoren wurden diese Tiere nicht mehr gebraucht, und die Hornqualität wurde entsprechend schlechter". In Afrika seien die Hörner stärker und länger, weil die Tiere dort noch mehr Platz hätten.

Die Formung in der Fritteuse

Das Naturmaterial wird heute stückweise in Säcken geliefert, nachdem er es zuvor lange containerweise gekauft hat. Er begutachtet jedes Horn und erkennt, ob die Kühe es gut hatten und wie sie gefüttert wurden. Hörner von schlechterer Qualität haben oft durchgehende Sprünge, die muss er gleich wegwerfen. Bei den guten schneidet er in einem ersten Arbeitsschritt die Spitze ab ("In der Fachsprache heißt das Hohlung"), danach teilt er das Horn mit der Bandsäge der Länge nach und prüft es auf etwaige Fehler.

In einer Fritteuse mit normalem Speisefett erhitzt er die Hornhälften auf 150 bis 170 Grad, danach presst er sie mit Gummiplatten in einer 20-Tonnen-Presse zu Hornplatten. Diese werden auf das jeweilige Endprodukt hin bearbeitet, "in der Fachsprache sagen wir: zugeschickt". Beim Endprodukt müsse die Musterung auf der jeweiligen Hornfläche gut zur Geltung kommen.

15 Arbeitsschritte bis zum Kamm

Ein Kamm (es gibt unzählige verschiedene: Teppichkamm, Webkamm, Herrenkamm, Taschenkamm, Griffkamm ...) beansprucht je nach Art 15 bis 20 Arbeitsschritte. Zunächst werden die Zacken, gesteuert von einem Computerprogramm, in verschiedenen Stärken in die Platten gefräst. "Der sehr beliebte Lockenkamm beispielsweise hat Vier-Millimeter-Zähne", sagt er. Mit einer "Spitzfräse" werden die Kammzähne von eckig auf spitz gebracht. Beim Schleifen beginnt er mit einer 60er-Körnung an der großen Schleifmaschine, bis er schließlich die Paste mit Bimssteinmehl verwendet.

Diese unterscheidet sich von der Polierpaste, die er danach verwendet, die jeweiligen Zusammensetzungen verrät er nicht. "Lässt man einen Schritt aus, bekommt man keine schöne Ebene", sagt er. "Jeder Arbeitsschritt ist wichtig, sonst muss man nacharbeiten und Fehler ausbessern." Die Arbeit erfordere Geduld und Nerven, "es passiert kaum mal, dass mir von 20 Stück auch 20 gute gelingen". In einer eigenen Lade sammelt er daher die "Ware zweiter Qualität", die immer noch gut ausschaut. "Kleine Fehler sieht man oft erst am Schluss" – da haben er und seine beiden Mitarbeiterinnen aber schon lange daran gearbeitet. "Wenn ich nur Kämme machen würde, dann wären es zwischen 40 und 70 Stück pro Tag", sagt er. "Pro Jahr machen wir drei- bis viertausend davon."

Ein Kamm um 30 oder 80 Euro

Kleinere Kämme würden zwischen 30 und 80 Euro kosten, größere entsprechend mehr. Nach wie vor nutzen sie den Großhandel als einen von vier Vertriebskanälen, sie verkaufen aber auch über Designerläden, die beiden eigenen Geschäfte und den gut gehenden Onlinehandel. "Die Großeltern haben noch Bürsten mit Herzerln drauf gemacht und sind damit auf Messen gefahren, das waren richtige Souvenirs." Er selbst vertreibt heute um die 600 Produkte aus Rinderhorn, zusammen mit seiner Frau, die ihm anfangs auch in der Werkstatt geholfen hat.

Nach wie vor werden Kämme von Vätern an Söhne verschenkt, sagt er, und nach wie vor kämen die Söhne mit den Kämmen der Väter, um sie zum Service zu bringen. "Im Wasser liegend werden sie schnell kaputt", erklärt er. "Stellen Sie sich vor, Sie baden zu lange, und dann schauen Sie sich bitte Ihre Nägel an." Mit Mandelöl kann man seine Hornkämme gut pflegen. "Ich gebe ihnen eine durchschnittliche Lebensdauer von zehn Jahren", sagt er. "Aber es kann natürlich auch schon nach einem Jahr etwas passieren." Horn sei eben ein Naturprodukt, und anders als Plastik, das sich oft gar nicht mehr zersetzen will, halte es nicht ewig. Dafür sei jedes Stück einzigartig.

(11.9. 2025)

https://www.derstandard.at/story/3000000287138/hornmanufaktur-wien

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