Voga Longa

Foto: Rebhandl

An der Alten Donau rudern ein paar Italien-Fans wie die Gondoliere in Vendig. Gradioso!

Ginge es nach Bibi Friedl, der heutigen Präsidentin des Rudervereins Voga Veneta Vienna, würden sie auch im Winter an der Alten Donau wie die Venezianer rudern. Aber von Ende Oktober bis Anfang April müssen sie beim Bootsverleiher Kukla, wo sie vor Kuki’s Kombüse festgemacht sind, auswassern. „Da wollen sie die Flosse hier frei haben, um die Boote warten zu können“, sagt Dominik Loss, den hier alle nur Nino nennen. Der Altpräsident des Vereins ist in seinem weißen Ruderanzug und mit dem roten Halstuch der vielleicht venezianischste aller Wiener Ruderfreunde, im normalen Trainingsbetrieb rudert aber auch der 84jährige im gestreiften Leiberl: „Hauptsache, der Oberköper ist bedeckt, weil alles andere schaut nicht gut aus!“ Wie man an den Touristen in Venedig sehen kann, die sich an diese Regel nicht halten.

„Wir sind unsprünglich Ruderer vom Verein Donauhort“, erzählt er von den Anfängen: „Zu Beginn der 1990er Jahre fuhren ein paar von uns erstmals nach Venedig zur Voga Longa“, was frei übersetzt „Das Lange Rudern“ heißt. Über den Canal di San Marco geht es dabei an den Inseln Vignole und Sant'Erasmo vorbei Richtung Burano, von dort wieder zurück zum Markusplatz, „das sind ca. 30 Kilometer, für die man dreieinhalb Stunden braucht, weil bei der Einfahrt von Cannaregio mittlerweile 700 Boote stehen.“

Ursprünglich wurde die Voga Longa ja von einer kleinen Gruppe Einheimischer ins Leben gerufen, um die Tradition zu pflegen und ein Zeichen gegen das Überhandnehmen der Motorboote zu setzen. Aber wie nahezu alles, was sie dort anpacken, geriet ihnen auch das zum Touristenhit mit heute über 2000 Booten aus aller Welt. Als Nino das erste Mal daran teilnahm, hat er noch klassisch gerudert. „Aber im Diadora, dem Ruderverein am Lido, wo wir Quartier nahmen, gab es den Lino, ein irrsinnig lieber Kerl.“ Und der sagte zu ihnen (auf Italienisch): „Rudert doch in Wien auch Venezianisch, das müsst ihr lernen!“ Worauf der Nino auf Italienisch antwortete: „Geh hör mir auf mit dem Blödsinn, Basta!“ Bis sie dann doch am Ufer standen und es probierten.

 „Herrschaften, antreten!“, hat Nino geschrien. „Und es war schrecklich! Ein Bein schien zu kurz, das andere zu lang!“ Der Lino aber fand: „Siete fantastico! Nächstes Jahr rudert ihr Venezianisch!“ Und schon 1995 besaßen sie einen alten, renovierungsbedürftigen Sandolo, die Dosoulina, mit dem sie ihren Verein gründeten. Drei Jahre später verloste die Stadt Venedig anlässlich der Voga Longa eine Mascareta mit dem schönen Namen Venezia, und die Gewinner waren … sie! Es ging weiter: „1999 spielten sie in Mörbisch Eine Nacht in Venedig, dafür hatten sie unten schon eine echte, elf Meter lange Gondel gekauft, das Trumm passte aber nicht auf die Bühne.“ Sie wollten also lieber kleinere haben, die echt aussehen, und die baute ihnen Bibis vor zwei Jahren verstorbener Mann, der legendäre Bootsbauer Wolfgang Friedl, aus billigstem Verpackungssperrholz. Nach der Aufführungssaison, während der Nino den Mörbischern den Gondoliere machte, schenkten sie ihnen diese Gondeln, „und erstaunlicherweise fahren sie immer noch.“

Eine von ihnen, die Ciboletta, decken sie nun bei Kaiserwetter ab und wassern sie, sie ist schwer und unhandlich, „aber gemeinsam geht alles!“ Der Steuermann beim Venezianisch Rudern heißt Poppiere (Bootsachtermann) oder geläufiger Gondoliere bzw. seit 2010 auch Gondoliera, davor stehen versetzt die Ruderer. Natürlich könne man auch Staken oder Paddeln, aber sobald der Riemen (Remo) in einer fixen Auflage, der an Steuerbord angebrachten Forcola, liege, hieße es eben Rudern. Diese Forcole können wahre Kunstwerke sein und werden je nach Körpergröße und Wellengang in der Höhe verstellt.

Giorgia, Filippo und Silvia stoßen nun zur Gruppe, letztere ist Venezianerin und seit 2002 in Wien. „Das Venedig meiner Kindheit gibt es nicht mehr“, blickt auch sie wehmütig zurück auf die Zeit vor dem Tourismuswahnsinn, aber hier fände sie ein kleines Stück Heimat. Und die Kollegen, lobt sie,  können allesamt wirklich gut rudern! Insgesamt 20 aktive Mitglieder sind es plus zehn Unterstützer, die aus Freundschaft und Überzeugung einen kleinen Mitgliedsbeitrag zahlen. Der Nachwuchs aber, klagt Filippo, wolle nicht mehr so recht, die Kinder würden ein paar Meter weiter lieber Kanupolo spielen.

Wir nehmen in der Aninna mit ihrer typisch asymmetrischen Krümmung entlang der Mittelachse Platz, diese gleicht das Gewicht des Gondoliere aus: „Der rudert immer nach Backbord“, erklärt Filippo, der aus Padua stammt. „Durch die Krümmung schwenkt die Gondel automatisch wieder  zurück auf Kurs.“ Bis vor fünfzehn Jahren sah man auch ihn nur im Ruderboot, dann fand er über das Internet den Verein. Was der Ferro die prua, der Metallbeschlag am Bug, bedeutet, das wusste er aber auch vorher: „Er endet oben in der Form der Fischermütze, welche die Dogen als Kopfbedeckung trugen. Darunter symbolisieren die sechs Zacken die sechs Stadtteile (Sestrieri) von Venedig. Der nach hinten gerichtete Zacken zeigt die Giudecca, die langgezogene Inselgruppe im Süden der Stadt.“

Wir kommen recht schnell voran - bis zu sieben Km/h kann man schaffen! – auf unserem Weg ins Kaiserwasser, von wo aus wir in frühsonntäglicher Stille auf die UNO-City schauen – herrlich! „Kontemplativ und beruhigend“ nennt Bibi Friedl daher, was sie tun, und im Unterschied zu Venedig gibt es an der Alten Donau auch kaum Wellen. „Wir waren vor zwei Wochen dort“, sagt si, „und man erzählte uns, dass viele mit ihren kleineren Booten gar nicht mehr fahren, weil die Motorboote sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten und so hohe Wellen schlagen.“ Es gebe viele verschiedene Bootstypen dort, das Charakteristikum aller aber sei, dass sie einen flachen Boden hätten, weil sie sonst bei Ebbe trocken fallen würden.

„Haben wir eine Kerze mit?“, fragt Bibi Friedl bei der Rückfahrt, das Wachs brauchen sie für die Forcola, um den Riemen leichter zu bewegen. Wir steigen beim Kukla wieder aus und verabschieden uns – „Arrivederci!“ –, während die Venedigbegeisterten sich auf ihre übliche Runde begeben „bis ganz hinunter ins Stürzl, dort stehen wir an.“ Wahre Gondolieri aber verstehen ihr Boot mit Leichtigkeit zu wenden, es geht also zurück in den Polizeikanal, danach ins Kaiserwasser und von dort wieder zurück, das sind neuneinhalb Kilometer oder eineinhalb Stunden, nehmen sie die Obere Alte Donau mit, sind es sogar 16. Danach ist man rechtschaffen müde, und das Spritzgetränk, das gemeinschaftsstärkend eingenommen wird, schmeckt gleich noch einmal besser.

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Beruf: Hornkammmacher