Der Landgendarm

Foto: Rebhandl

2005 wurden Polizei und Gendarmerie zusammengelegt, der früher „typische“ Landgendarm mit eigner Uniform und eigener Identität hatte ausgedient. Zum 20jährigen Jubiläum der Reform besucht unser Autor einen, der im Ausseerland Dienst geschoben hat und das „Früher“ noch gut kannte.

19.09.2025 in den OÖN


Vom Wilden Leben

Wir sitzen etwas außerhalb von Bad Goisern vor dem Haus des Helmut Mittendorfer, das sein Urgroßvater - „ein Waldbauernbub“ - 1887 zu bauen begonnen hat und in dem der 82jährige zusammen mit seiner Frau noch heute lebt. „Als das Haus im Rohbau stand, hat es den Urgroßvater beim Blochbringen derrent, er hat drei Kinder gehabt.“ Blochbringen, das war die harte Arbeit im Holzberg, von wo die Baumstämme ins Tal gebracht werden mussten. Die Urgroßmutter, die danach nicht mehr geheiratet hat, brachte die drei Söhne in guten Berufen unter: „Bei der Eisenbahn, bei der Ischler und bei der Hallstätter Saline.“ Sie hatte keine Rente und keine Versorgung, also verteilte sie Schuldscheine an Verwandte und Bekannte und baute das Haus weiter. „Bis sie die Zimmer darin nach und nach an hohe Herrschaften vermietet hat“ - solche, die sich eine Sommerfrische in Bad Goisern leisten konnten. Nur einen Raum behielt sie für sich und lebte bescheidenst, innerhalb von zehn Jahren war sie schuldenfrei. Als Helmut mit seiner Frau das Haus erbte, gönnten auch sie sich anfangs nur zwei Zimmer, die restlichen hatten sie vermietet.

Eine Familie musste ernährt werden. Also trat Helmut 1963 in den Gendarmeriedienst ein, zunächst in Schörfling am Attersee, dann in Bad Goisern. „Wir waren dazumals zwölf oder 13 Mann systemisiert, waren aber nie mehr als zehn Leute am Posten. Heute sind es doppelt so viel.“ Dabei mussten sie „über Nacht auch noch die Rayone Gosau, Hallstadt und Obertraun mit übernehmen.“

Gendarm zu werden war nie sein Traum, die Eltern aber rieten ihm: „Geh in den Staatsdienst!“ Der Großvater hingegen meinte: „Das sind doch Bettelleutfänger!“ Als Gendarmen, wie sie bis zur Gendarmeriereform 2005 hießen, trugen sie graue Uniformen mit roten Aufschlägen, Tellerkappe oder Bergmütz, wenn sie Bettler beamtshandelten. „Dazu einen Leibriemen mit einer recht schweren Pistole.“ Sie trugen eine Patroillentasche auf der linken Seite und den Guppiknüppel seitlich in die Hose gesteckt oder im Winter in den Mantel. „Die Bettler sind von weiß Gott woher gekommen. Dann kamen noch die Roma und haben irgendwo geschlafen. Stromer hießen die, die von Ort zu Ort gefahren sind.“ Erwähnen tut der Menschenfreund sie nur, weil Betteln damals verboten war und ihnen tatsächlich eine Menge Arbeit eingebracht hat.

„Ein, zwei Mal im Jahr haben wir auch Wilderer erwischt“, erzählt er. Die Jagdschutzorgane haben Wilderei entweder angezeigt oder den Verdächtigen gleich zu ihnen gebracht. Meistens gingen sie in die die Berge und schossen dort Gemsen. Manche verräumten ihre Spuren, andere waren frech und legten die abgetrennten Köpfe der Tiere sogar auf den Jägersteig. Die meisten trugen falsche Bärte oder waren „angefedert“, verkleideten sich mit Hüten, Tüchern oder Blaumännern und schmierten sich Russ oder Schuhpaste ins Gesicht.

„Insgesamt aber“, sagt er, „war Goisern ein friedlicher Ort und sind die Goiserer brave Leute.“

Wirtshausraufereien gab es freilich zur Genüge: „Kieferbrüche oder Rippenbrüche. Oder dass einer mal keine Zähne mehr gehabt hat, das hat es alles gegeben.“ Der Großvater erzählte ihm, dass früher Gruppen von Bauernbuben oder Holzknechten herumzogen, die einen „Kleinen“ mit hatten, der im Wirtshaus anfing zu stänkern. Wenn es dann los ging mit der Rauferei, sprangen ihm die „Großen“ zur Seite, die nur darauf gewartet hätten. „Das waren halt früher so die Taktiken.“

Der Alkohol spielte dabei ein große Rolle: „Ein großer Teil der Kraftfahrer war damals betrunken“,  sagt er. Dafür kannten die Gendarmen lange kein Suchtgiftproblem, obwohl: „Uns hat schon öfter gewundert, dass einer keinen Rausch gehabt hat, aber komplett daneben war.“ Drogen waren ihnen fremd, bis sie entsprechend geschult wurden und man ihnen die möglichen Verstecke des Suchtgiftes im Auto zeigte.

Geschwindigkeitsüberschreitungen mussten früher geschätzt werden. „Oder einer stand mit der Stoppuhr an der Straße und der andere hat die Raser aufgehalten.“ Es gab weder Gurten- noch Helmpflicht, was den Blutzoll auf den Straßen in die Höhe trieb. Als beides eingeführt wurde, hatten sie eine „Mordsarbeit“ mit den Leuten: „Ich leg‘ sicher keinen Gurt an!“ und „Ich trag‘ sicher keinen Helm!“ waren eine Zeitlang die Sätze, die sie am häufigsten hörten.

Bis die Pyhrnhautobahn 2004 fertiggestellt wurde, führte ein Teil des Gastarbeiterverkehrs über die B 145 durch das Tal und mündete bei Liezen in die Gastarbeiterroute. „An Engstellen wie der bei Lauffen hat es ständig gekracht“, erinnert er sich. 1972 starben laut ÖAMTC auf Österreichs Straßen 2948 Menschen, „Bad Ischl war in den 70er Jahren bei den Todeszahlen einmal an zweiter Stelle hinter Zierl in Tirol.“ Überhöhte Geschwindigkeit, sagte er, spielte dabei eigentlich immer eine Rolle, auch wenn es oft hieß: „Aus unbekannter Ursache…. Aber wenn die Fahrzeuge 50 Meter voneinander entfernt herumliegen, war irgendwer zu schnell!“

Oft hätte es auch ältere Männer erwischt, die aus den Wirtshäusern kommend die Bundesstraße überquerten und dabei die Fahrzeugbeleuchtung in der Entfernung falsch eingeschätzten, „dann hat es sie geputzt“. War Fahrerflucht im Spiel, sind sie hinterhergefahren. „Wir waren dabei aber immer sehr vorsichtig, auf Leben und Tod, wie man gesagt hat, sind wir nie gefahren, das wäre der größte Fehler als Einsazfahrerlenker überhaupt gewesen.“ Sie mussten entsprechende Prüfungen ablegen, um ein Einsatzfahrzeug überhaupt lenken zu dürfen, und wurden dabei zur Vorsicht ermaht: „Wenn es einen Unfall gab, ist er schon passiert! Wenn sich einer aufgehängt hat, ist er schon tot! Wenn eine Rauferei gemeldet wurde, ist sie vielleicht schon vorbei!“ Besser war es, ein paar Minuten später zu kommen, als selbst am Boden zu liegen, „was natürlich auch passiert ist.“

Was ihm – „Gott seid Dank!“ – nie passiert ist: „Ich hatte das große Glück, dass ich in meiner ganzen Dienstzeit die Waffe nie gegen einen Menschen richten musste.“ Anders sah es mit angefahrenem Wild oder überrollten Katzen  aus: „Was willst du da machen? Wenn wir keinen Jäger gefunden haben, haben wir selbst schießen müssen, du kannst das Vieh ja nicht leiden lassen.“

„Nach Bank- oder Tankstellenüberfällen haben wir immer alle gekriegt“, erzählt er weiter. „Aus dem Tal hinaus war es ja nicht einfach zu fliehen. Wenn einer schlau war, ist er zunächst ruhig geblieben oder ins Gelände gegangen. Aber ruhig bleiben ist schwierig.“ Die Fahndung wurden oft auf die Steiermark ausgedeht, es gab Bezirksfahndungen bis Liezen oder Gmunden. Wenn es eine Personenbeschreibung zum Täter gab, fiel ihnen meistens das passende heimische Gesicht dazu ein, „wir kannten sie ja alle.“ Hatten sie einen Verdächtigen ausgemacht, haben sie ihn abgeholt und einvernommen. „Und dann waren eh schon die Kriminalbeamten aus Linz da.“

Über die vielen Selbstmorde in der Gegend redet er nicht so gerne, über die, die sich aufgehängt oder ertränkt haben. „Oder wer vor den Zug gegangen ist bzw. sich erschossen hat.“ Oder die, die drei Wochen im Wasser lagen und „schwer anzuschauen“ waren. Auch die, die sich aufgehängt haben, waren kein schöner Anblick, „aber in den allermeisten Fällen frisch, wie man so schön sagt.“ Und dann erwähnt er wieder den Großvater: „Der hat einen Arbeitskollegen gehabt, der ist blasenleidend geworden und hat sich aufgehängt. Der andere war unglücklich verheiratet und hat sich auch aufgehängt. Dem nächsten hätte wegen einer Krankheit der zweite Fuß abgenommen werden sollen, der hat sich stranguliert. Kann man so jemandem böse sein?“

Gerdet wurde darüber im Dienst aber nicht: „Das wären doch Schwachheiten gewesen! Man hat sich alles verbissen.“ Ein Burnout oder Fatigue-Syndrome kannten sie folglich genauso wenig wie psychologische Betreuung: „Du hast dich selbst mit einem Schnaps betreut!“, lacht er. Gerne geredet haben sie mit den Pensionisten des Ortes. „Oft sind welche auf den Posten gekommen mit dem Wunsch nach einem Kuvert und einem Bogen Briefpapier. Oder sie haben gleich gefragt, ob man für sie einen Brief tippen kann.“ Andere kamen und fragten: „Habts ihr gar nichts zu trinken?“ Die Antwort lautete stets: „Da ist der Kühlschrank, greif hinein!“

An seinen letzten Tag als Landgendarm erinnert er sich so: „Ich bin froh gewesen, dass ich nicht mehr hinübergehen hab müssen!“ Andere nahmen sich den Leibriemen oder das Kapperl mit, er aber hat alles abgegeben. „Ich habe einen Punkt gemacht und aufgehört.“ Dabei hat er gute Kollegen gehabt, mit denen er noch heute zusammenkommt. „Leider sind einige im Heim, die besuche ich nach wie vor. Einer hat eine slowakische Betreuerin… Es werden halt immer weniger.“

„Der Goiserer ist ein Braver“, sagt er zum Abschied noch einmal, aber erlebt hat er natürlich auch viel mit ihm. Begrüßt wird er heute auch von manch ehemaligem schwarzem Schaf im Ort stets freundlich: „Heli, servas!“, hört er, wenn er ins  Wirtshaus geht. Dass dort nicht über ihn getuschelt oder gar das Reden eingestellt wird, das rechnet er sich selbst als große Leistung an.

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Beruf: Hornkammmacher