Gewichtheben in Favoriten
Foto: FAK Goliath Valentin Ivanov
Der FAK Goliath veranstaltete die Wiener Landesmeisterschaften. Der Keller im Favoritner Pfarrheim war bummvoll. Der Verein möchte den Sport für neue Interessenten öffnen
21.11.2024 im STANDARD
Im Pfarrheim hinter der Antonskirche in Favoriten geht es hinunter in den Keller, wo der FAK Goliath in seinem Vereinslokal die Wiener Landesmeisterschaft im Gewichtheben ausrichtet. Kurz vor Mittag riecht es nach verbranntem Popcorn, veganem Chili con Carne und Bier. Nur der Zigarettenrauch fehlt, dann wäre hier alles so wie früher, als Ernst Hinterberger seinen Edmund Sackbauer beim FAK Goliath nach der Arbeit Gewichte stemmen ließ. Das ist 50 Jahre her.
Damals, erzählt Selina Kolland, selbst mehrfache Landesmeisterin in ihrer Gewichts- und Altersklasse und seit 2018 im Verein aktiv, gab es weit mehr als 100 Vereine in Wien, übrig geblieben sind gerade einmal eine Handvoll. Beim traditionsreichen FAK Goliath will man nun aber ein bisschen was vom vergangenen Flair in die Gegenwart herüberretten, nachdem der Verein letztes Jahr, als er 100 Jahre alt wurde, fast am Zusperren war.
Auf und Ab
"Make Gewichtheben Great Again" heißt es nun, und zumindest bei den Meisterschaften fühlt sich das schon ziemlich "great" an. Die Bierbänke sind dicht besetzt mit Fans und Angehörigen, als bei der ersten Gruppe der bis 73 Kilo schweren Männer Kraydi Faouzi mit seinen kaum 60 Kilogramm Körpergewicht im dritten Versuch 107 Kilo reißt. Der Hauptschiedsrichter, einer von dreien und selbst in den 1970er-Jahren Olympiateilnehmer, ruft: "Ab!" Das Gewicht knallt auf den Holzboden, das Magnesium, mit dem sich alle vorher die Hände einreiben, staubt, und die provisorische Anzeigetafel zeigt den Versuch als gewertet an. Tosender Applaus!
Robert Horacek ist seit über 30 Jahren Funktionär auf Landes- und Bundesverbandsebene und schon am blauen Blazer und der grauen Hose als international lizenzierter Schiedsrichter zu erkennen. Um Schiedsrichter zu werden, muss man einen Theoriekurs absolvieren und anschließend bei einem Wettkampf vor einer Jury 80 bis 95 Prozent der Wertungen richtig machen. "Es geht um die Ausführung, das regelkonforme Durchführen. Wenn nicht in einem Zug gestoßen wird, ist es falsch. Der Schiedsrichter muss das Gefühl haben, dass das Gewicht fixiert ist."
Wenn man die höchste Lizenz ergattert hat, kann man auch zu Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften fahren, aber das müssen sich die Funktionäre selbst bezahlen und dafür auch noch Urlaub nehmen. Hier teilt der Schiedsrichterobmann die Schiedsrichter nahe ihrem Wohnort ein, "weil als Perchtolsdorfer werd' ich nicht nach Vorarlberg fahren, der Verein muss ja die Kosten übernehmen".
Gedankenspiel Zementsackerl
Beim FAK Goliath ist es Daniel Papez, der als Obmann in die Vereinskassa greifen muss, um die Schiedsrichter zu bezahlen. "Die Gewichthebercommunity ist sehr überschaubar", sagt er. "Viele Vereine sind so klein, dass sie als Wettkampfgemeinschaften an Meisterschaften teilnehmen müssen, alleine brächten sie gar kein Team auf die Bühne."
Nur der FAK Goliath schaffe das, und heuer haben sie sogar eine eigene Damenmannschaft am Start – Vereinssprecherin Lisa Stier wird später noch 46 Kilo reißen und 63 Kilo stoßen. "Gewichtheben ist deswegen so ein geiler Sport", sagt der Obmann, "weil sich jeder vorstellen kann, wie schwer eine Kiste Bier ist oder ein Zementsackerl! Stell dir vor, das musst du zwei Mal über den Schädel ziehen!"
Das schafft Felipe Reichel locker, jedenfalls beim Stoßen. Der 32-Jährige tritt in der Klasse bis 73 Kilo an und hebt heute 112 Kilo. Als Meidlinger radelt er dreimal pro Woche herüber nach Favoriten, um am abendlichen Training teilzunehmen. Neben dem Sportlichen war es der gemeinschaftliche Aspekt, der ihn vom Gym, wo er mit Kraftsport angefangen hat, hierher wechseln ließ. "Da ist es nicht so anonym, und das Gewichtheben ist technisch anspruchsvoller, auch ein bisserl was fürs Hirn."
Mit Schneckerl im Käfig
Cemil Gök ist ein Bröckerl, das in der Klasse bis 96 Kilo antritt und heute insgesamt 222 Kilo heben wird (90/132). "Ich habe früher Tischtennis gespielt und war relativ übergewichtig, ging ins Fitnessstudio, aber das hat mich nicht interessiert." Dann stieß er im Internet aufs Gewichtheben, und er dachte: "He, das schaut extrem gewaltig aus! Diese Geräusche! Die Beine, die in den Boden stampfen! Die Schreie, wenn die Kraft umgesetzt wird!" Am Anfang, erzählt er, "war ich verrückt, ich wollte einfach immer mehr Gewicht schaffen, ohne so richtig auf die Technik zu achten. Aber man muss es wirklich gescheit machen. Das ist wichtig, dass man sich von einem Trainern anleiten lässt."
Am besten von Johann "Hansi" Leisser, der Legende, von der hier alle in höchsten Tönen schwärmen. Der 66-jährige Trainer hat beim KSV Wien XI. in Simmering auf der Hasenleithen angefangen, mit dem Schneckerl Prohaska hat er im Käfig noch Fußball gespielt. "Es war ein sehr schönes Leben draußen auf der Straße, wir sind herumgerannt, bis es finster war. Der Vater ist am Sonntagvormittag immer gegangen zum KSV und hat gesagt: Geh mit!"
Einmal ist er halt mitgegangen, und schon war er begeistert. "Man ist durchs Wirtshaus gelaufen, und im Hinterzimmer hat man gestemmt, am Fox-Ofen hat das Röhrl geglüht, ein Klavier ist drin gestanden und Kartentische, an denen die Funktionäre um Geld gespielt haben, das sie dann in die Kassa geschmissen haben, damit der Verein leben konnte."
Auf einer neuen Stufe
Die ganzen Simmeringer Buam, sagt er, haben sich dort getroffen, und sie hatten einen "Weltklassetrainer, den Zein Franzi", der seinerseits schon eine Legende war. Diese brachte den Hansi so weit, dass er als 15-jähriger Fliegengewichtler schon 83 Kilo gestoßen hat. "Gewichtheben ist wie ein Virus", sagt er. "Der schönste Sport, irgendwie exklusiv, fast ein bisserl elitär." Man kam fesch angezogen zu den Wettkämpfen und schaute sich an, wie der Hans Leisser 1977 mit 157,5 Kilo im Stoßen schon stärkster Österreicher wurde, da war er gerade erst 18.
2002 hat er dann noch die World Masters Games in Melbourne gewonnen, und danach kümmerte er sich um den Sargis Martirosjan, der aus Armenien nach Österreich kam und hier das Gewichtheben auf eine neue Stufe hob. Aber das ist eine andere Geschichte, an die der FAK Goliath vielleicht einmal anknüpfen kann, wenn er Gewichtheben in Wien wieder so richtig great gemacht hat.