Ein wahrer Hörgenuss - Besuch im Wiener Phonographenmuseum
Foto: Phonomuseum Wien
Im Wiener Phonographenmuseum haben sie 1000 Exponate, von denen immer 300 ausgestellt sind. Auch zahlreiche Tonträger und Kataloge kann man besichtigen.
1983 trat der Verein der Tonbandfreunde an die ARGE der Wiener Bezirksmuseen heran mit der Bitte, der Sammlung geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, diese fanden sich in der Mollardgasse im Sechsten Bezirk. Drei Jahre später brachte Prof. Fritscher seine umfangreiche Phonographen-Sammlung als Dauerleihgabe ein und agierte als Kustos. Als solcher wandet er sich an Dr. Kurt Krapfenbauer, der damals noch ein elektrotechnisches Praktikum am Institut für physikalische Chemie in Wien machte. Der Herr Professor hatte nämlich vom Technikmuseum einen von Thomas Edison konstruierten Phonographen Class M, der nur noch in Fragmenten vorhanden war, zur Reparatur bekommen - ihm eilte der Ruf voraus, so etwas zu können. Das Problem: Dieses Geräte, eines der ersten in Serie hergestellten, wurde mit Batterie betrieben, denn Edison hatte schon geahnt, dass der Federantrieb irgendwann durch einen elektrischen ersetzt werden würde. „Kannst du mir eine bauen?“, fragte ihn also der Professor, und er konnte.
Nach Fritschers Tod 2004 brachte Krapfenbauer seine eigene Sammlung ein und fungierte ab 2010 als ehrenamtlicher Leiter des Phonomuseums, das heute lückenlos die Entwicklung des Phonographen von 1877 bis 1938 dokumentiert. Vom Vorgänger hat er auch die Kontakte zu den Sammlern übernommen, vor allem aber zu den Museen und Vereinen, sodass er heute sagen kann: „Wir sind international sehr stark aufgestellt, Netzwerke sind unsere Spezialität.“ Die Sammlung erweiterte sich in der Folge durch Schenkungen, Erbschaften oder seltene Ankäufe, die nur mit Hilfe von Sponsoren möglich sind. Am Flohmarkt findet man heute keinen Class M Phonographen mehr, mit dessen Entwicklung Edison 1877 begonnen hatte.
Da meldete er nämlich den Zinnfolienphonographen zum Patent an, das Prinzip war „relativ einfach“, sagt Krapfenbauer. Mit Betonung auf „relativ“: „Sie haben in einen Trichter hineingesprochen, am Ende des Trichters war eine Membran, und wenn Sie auf eine Membran sprechen – das sind ja Longitudinalwellen! – beginnt diese zu schwingen. Diese Schwingungen werden auf eine rotierende Zinnwalze aufgezeichnet, man spricht von einer Höhen-Tiefen-Schrift. Wenn sie die Walze zurückdrehen, die Schrift wieder abtasten und die Vibrationen auf eine Membran leiten, dann hören Sie genau das, was Sie vorher darauf gesprochen haben.“
Mit seinem Prototypen fuhr Edison zur Academy of Science in London und führte ihn der Öffentlichkeit vor, erntete dafür aber nur Tumulte oder, wie man heute sagen würde, Hass und Shitstorm: Mit so einem einfach Gerät könne man doch unmöglich so etwas Komplexes wie die menschliche Stimme aufnehmen!, warf man ihm vor, er hätte einen Bauchredner daneben gestellt, mutmaßten seine Hater. Zurück in Amerika wurde es auch nicht besser: Geistliche sahen darin Teufelswerk, es kam zu öffentlichen Verbrennungen. Also wandte sich Edison zunächst der Erfindung der Glühbirne zu.
Als aber, erzählt Krapfenbauer weiter, Graham Bell und Charles Tainter, die später das Telefon erfinden sollten, sich mit Schallaufzeichnung und Wiedergabe beschäftigten, wollte sich auch Edison nicht bitten lassen und präsentierte einen deutlich verbesserten Phonographen – eben jenen Class M, von dem sie hier einen neben 300 anderen Exponaten ausgestellt haben, 1000 besitzen sie insgesamt. „Der Class M wiegt fast 20 Kilogram inklusive Manchester Motor mit 2 Volt/6 Ampere, für den er auch ein eigenes Fliehkraftregelsystem entwickelt hat. Außerdem verwendete er dafür erstmals Weichwachswalzen als Tonträger, die man abschleifen konnte, was die immer neue Aufnahme von Sprachnachrichten oder Stimmportraits ermöglichte.“ Für solche waren die Phonographen anfangs ausschließlich konzipiert. Die Walze konnte man zu den Verwandten schicken, die sie ihrerseits abspielten: „Wann kommt ihr zum Essen? Der Hund hat Flöhe.“ In ihrer Sammlung haben sie um die 400 solcher Wachswalzen, die nun von der Akademie der Wissenschaften digitalisiert werden.
Musik war zunächst kein Thema. Aber da es viel Hausmusik gab, war es nur eine Frage der Zeit, bis diese jemand auf die Wachswalze brachte und verkaufte. Dies markierte den Beginn einer völlig neuen Industrie. Nach Durchführung von Marktstudien baute Edison drei verschiedene Modelle, von denen das teuerste mit dem Jahresgehalt eines leitenden Angestellten erstanden werden konnte. Marketingstrategien mit immer größeren Trichtern wurden entwickelt, schon damals galt: Size matters! Über Verkaufskataloge, die man auch in ihrer umfangreichen Sammlung einsehen kann, konnte man sich diese per Telegrafie bestellen und per Post zukommen lassen, obwohl sie auf das Hörerlebnis keinen Einfluß hatten: „Man spricht vom akustischen Zeitalter“, erklärt Krapfenbauer, „sowohl Tonaufnahme als auch Wiedergabe waren rein mechanisch.“ Erst mit der Erfindung der Elektronenröhre gab es die Möglichkeit, den Ton zu verstärken.
Weil man Phonographenwalzen nicht reproduzieren konnte, setzte sich schließlich das Konkurrenzprodukt Grammophon gegenüber dem Phonographen durch. Erfinder Emil Berliner gestaltete seine Tonträger so, dass man sie durch Pressen vervielfältigen konnte. Um Edison-Patente zu umgehen, experimentierte er dabei zunächst mit Wachsplatten, die er schließlich durch härteres Material ersetzte – Schellack. „Die ersten, die Grammophone produzierten, waren aber Spielwarenhersteller“, ordnet Krapfenbauer den Siegeszug der Schellackplatten richtig ein. Und was das Design anging: Erst als sich „die Hausfrau“ darüber beschwerte, dass sie zuhause ständig die offene Mechanik abstauben musste, fing man an, dafür Gehäuse in allen Preisklassen zu bauen. In Cafés standen bald riesige Teile mit Münzwurfautomatik, eine frühe Form der Jukebox. Und auf Ariston-Geräten konnte sich jeder die neueste Operette anhören, die auf gestanztem Pressspanmaterial gestanzt war. Der Herzmansky hatte sie günstig im Angebot.
Vergleichweise unerschwinglich war ein Orchestron, das in Gasthäusern stand und um das herum sich das Volk scharte: „Musik hatte damals einen besonderen Stellenwert!“, erklärt Krapfenbauer. „Weil man sie nicht überall hören konnte. Am Sonntag in der Kirche vielleicht, beim Blasmusikumzug oder bei einer Wachablöse.“ Oder eben im Gasthaus, wo sich der enorme Anschaffungspreis durch die Vielzahl der eingeworfenen Zehn-Heller-Stücke aber überraschend schnell amortisierte.
„Kennen Sie die Geschichte, wie die Firma His Master’s Voice zu ihrer Trademark mit dem Hund vor dem Trichter kam?“, fragt Krapfenbauer abschließend. „1898 gab es in Paris den Maler Francis Barraud, der von seinem jüngeren verstorbenen Bruder den Hund Nipper, einen Phonographen und zahllose Walzen erbte. Auf diesen war die Stimme des Herrchens verewigt, von dem Nipper nun immer glaubte, es wäre im Trichter, wenn er sie hörte. Barraud malte also den Hund vor dem Trichter und bot das Bild Edison als Trademark an, der aber ablehnte. Also ging er zur Grammophongesellschaft, und die griff zu.“ Heute würde dieses Bild viral gehen, aber das ist eine andere Geschichte.