Beruf: Gusswarenhersteller

Foto: Christian Fischer für DER STANDARD

Im "Simmeringer Cottage" in Wien werden mit viel Leidenschaft Bassenas, Kandelaber und anderes zusammengebaut. Kunden sind die öffentliche Hand und viele Adelige

03.01.2023


Wolfgang Drab, Inhaber der Alt Wiener Gusswaren, erklärt das System der Wiener Hausnummerntafeln um die Jahrhundertwende: "Der erste Bezirk hatte rechteckige mit abgeschrägten Kanten. Bezeichnete die Tafel einen Platz, waren der Rand und die Schrift rot lackiert, bei den Straßen nur der Rand." Außerhalb der Inneren Stadt wiederum hatte jeder Bezirk eine eigene Farbe. Außerdem unterschied man noch zwischen Straßen, die in die Stadt hineinführten (rechteckig), und solchen, die um die Stadt herumführten (oval). Was man früher für Ideen hatte! Faszinierend.

Einer, der nicht nur dieses etwas komplexe System in- und auswendig kannte, sondern auch die private Telefonnummer des Gusseisenwarenerzeugers hatte, war der ehemalige Bürgermeister Helmut Zilk. Der liebte sein Wien, und wenn er durch die Gassen seiner Stadt ging, dann fiel ihm halt manchmal auch eine falsch beschriftete Hausnummerntafel auf. "Beim i der Frakturschrift muss man wirklich aufpassen!", erklärt Drab. "Das kann man verkehrt oder richtig setzen. Auch unterschied man zwischen langem und rundem s." So musste die Wach-stu-be mit langem geschrieben werden, während man für die Wachs-tu-be ein rundes setzte.

Gaslaternen für die Pawlatschen

"Heute interessiert das natürlich keinen mehr", sagt Drab. "Aber wir schauen halt trotzdem, dass alles passt." Etwa wenn er und sein Team die Wandarme oder -ausleger für die Stadt nachgießen, die Kandelaber dazu und die Lichtmasten. Oder Wiener Gaslaternen und Hofleuchten, die früher in den Pawlatschen oder Höfen hingen, in Kellern oder alten Gemeindebauten, die gehören ebenfalls dazu.

Für die Stadtbahnstationen bauten sie die Otto-Wagner-Säulen nach, Zaunspitzen für den Burggarten, Bodenroste für die Balkone des Burgtheaters, Handläufe für die U-Bahn. Wobei: "Die Laternen waren eigentlich immer hellgrau. Das heute weitverbreitete Grün gab es im Original gar nicht."

Neben der öffentlichen Hand zählen vor allem Unternehmen und Adelige zu seinen Auftraggebern – überwiegend Menschen, die dem Bewahren verpflichtet sind. Einer seiner Kunden sagte ihm: "Ich gehe nur noch für das Dach meines Schlosses arbeiten." Ist es nämlich an der Westseite dicht, leckt es schon wieder im Osten. "Das sind aber alles normale, bodenständige Leute, die an ihre Nachfahren denken."

Nach dem Preis wird dann erst gar nicht gefragt, auch nicht in Deutschland oder der Schweiz, wohin man ihn ebenso gerne ruft. In den Osten seltener, da gibt es noch mehrere wie ihn. Aber auch in Tschechien, weiß er, muss gerade eine große Gießerei zusperren, weil der letzte Gießer in Pension geht.

Jugendstil-Leuchter für Schlösser

Natürlich gibt es auch Investoren, die für ihr neu erworbenes Palais nur ein relativ kostengünstiges "Make-up" wünschen, bevor sie es mit Gewinn weiterverkaufen. "Dann merkt man aber natürlich, ob mit Massivmessing oder mit Messingrohren gearbeitet wurde." Gerade bekam er eine Zeichnung mit einem Jugendstil-Wandleuchter, der in einem Spital hängt, in die Hand gedrückt, und solche Auftraggeber fragen nur danach, "ob es möglich ist". Davon soll Drab vier Stück in Messing nachbauen. Bevor er sich an die Arbeit macht, will er immer auch etwas über die Geschichte des Objekts wissen: "Die Blüte am Leuchter ... war die bereits im Original so?"

Manchmal geht er in zwanzig Stiegenhäuser und schaut sich die Luster dort an, wenn ihn ein Kunde wegen eines Nachbaus beauftragt. Oder man trifft ihn an Wochenenden auf der Stehleiter in Stiegenhäusern an, wo er Original-Jugendstilstockwerkstafeln vermisst. Dass er dabei ein wenig schräg angeschaut wird, stört den Gusseisenspezialisten nicht. Da kommt er mit Menschen ins Gespräch und kann ihnen etwas erzählen. "Die Firma ist mein Hobby", lacht Drab.

Teil dieses Hobbys sind seine Sammlungen. Im Keller seines Hauses im Simmeringer Cottage lagern über 1000 verschiedene Ziergitter für Stiegenhausgeländer, alle hat er fotografiert und katalogisiert. Diese seien "einerseits wertlos, weil: Wer soll mir die abkaufen?" Andererseits natürlich unbezahlbar, weil sie enorm viel Wissen vermitteln. Wenn er nämlich so eine Geländerverzierung neu schnitzen müsste, ginge das richtig ins Geld.

Ein Pissoir aus Gusseisen

Ein anderer Teil seines Hobbys sind alte Kataloge, in denen selbst er noch Überraschendes und nie Gesehenes findet. Wie in einem von Metall- und Broncewarenfabrikant Josef Grüllemeyer, in dem die Teile im Maßstab 1:1 abgebildet sind. "Der Kunde", wie Drab sagt, "konnte darin blättern und sich verzierte Türschnallen oder Beschläge aussuchen", denen man in Wien heute noch in vielen Häusern begegnet. Oder er blätterte in Katalogen "mit ganz lustige Sachen wie Abortbestandteilen oder Pissoirs aus Gusseisen".

Manchmal hat er auch einfach Glück, und es tut sich eine ganz neue Welt für ihn auf: "Einmal hat mich eine alte Frau angerufen und mir gesagt, sie habe eine Erbschaft gemacht. Am Dachboden lagen 100 Bassenas. Da waren Sachen dabei, die habe auch ich in meiner 35-jährigen Beschäftigung mit der Materie noch nie gesehen!" Wie zum Beispiel Eckbassenas der Firma Kafka, die spezialisiert war auf Bassenas und diese "um 9,53 Kronen anbot, keine Ahnung, wie viel das war!", lacht Drab. Die Bassenas waren früher alle weiß und schwarz, heute kann sich der Kunde die Farbe aussuchen, wenn er für ihn eine restauriert. Was durchaus aufwendig ist! "Zuerst wird die Bassena im Ofen aufgeglüht. Dann kommt ein grober Sinter drauf. Dann wird die Zweitfarbe eingebrannt. Dann kommt die weiße Farbe drauf, die danach mit einem Zahnbürstel dort entfernt werden muss, wo die Zweitfarbe leuchten soll." Sowas dauert.

Eingegossener Schmerz

Wenn so eine Bassena nach Bezahlung von 1300 Euro in einem renovierten Zinshaus hängen soll, dann gibt er bei Lieferung gerne den Rat: "Bitte hängst die als Letztes auf! Weil was macht der Maurer? Er wäscht darin sein Werkzeug aus." Und dann wird der Mörtel hart, und man ruft ihn an: Holt’s die Bassena wieder ab! Obwohl: "Die Gusseisernen halten das schon aus." Die sollten nach Restaurierung ja auch für die Ewigkeit halten, die uns Menschen auf Erden leider nicht vergönnt ist.

Für die verstorbene Gattin eines älteren Herrn bauten sie ein Grab am Zentralfriedhof. "Wir fingen mit einem Bogen aus Kupfer an, aber alle vierzehn Tage wollte er etwas Neues. Wir gossen Musiknoten, weil sie Musikerin war; wir fassten Edelsteine ein, weil sie diese liebte." Bis sie nach eineinhalb Jahren schon eine Tafel gossen, auf der bereits sein Name draufstand, noch ohne Todestag. Und dann starb er. "Das war sein Projekt, um den Schmerz zu verarbeiten." Und Herr Drab begleitete ihn dabei.

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