Karaoke in Wien-Penzing
Foto: Regine Hendrich für den STANDARD
Seit 33 Jahren gibt es den "1. Vienna's Karaoke Club". Der hat 800 Mitglieder und wächst. Das liegt auch am leidenschaftlichen Elvis-Interpreten und Klubobmann Peter Kremmel
27.08.2024 im STANDARD
Alles begann mit einem Zufall: Peter Kremmel, Obmann und Gründer des Karaoke Club Austria, war Marketingdirektor bei Commodore – "Leider hab ich selbst keinen C64 mehr!" –, als die Firma im Jahr 1991 CDTV herausbrachte – ein frühes Multimediagerät mit einer CD-ROM als Datenträger. Ein Techniker der Firma bemerkte freilich, dass der Chip, der darin verbaut war, auch Karaoke-CDs abspielen konnte.
Was also tun? Als sie die Amiga World vorbereiteten, dachte Kremmel: "Präsentieren wir das doch auf dieser Messe und schauen, wie es ankommt!" Die große Sensation damals sollte eigentlich Virtual Reality mit 3D-Brille und derlei Schnickschnack werden, aber ihre Karaokeshow machte gleich viel mehr Wind: "Plötzlich standen 500 Leute vor unserer Bühne." Am nächsten Tag war eine Pressekonferenz angesetzt, und während dieser entschied er sich, einen Karaokeklub zu gründen, und nannte einen Pizzakeller auf der Wieden, dessen Besitzer im Publikum saß, als erste Adresse des – so hieß er zu Beginn – "1. Vienna’s Karaoke Club".
Die Alleinunterhalter
Vor diesem Tag auf der Amiga war Karaoke in Österreich kaum jemandem ein Begriff, die meisten wussten nicht einmal, wie man das japanische Wort ausspricht. "Karakiko? Koroake? Richtig: 'kara oke' für 'leeres Orchester'." Und wenn man Karaokemusik abspielen wollte, dann gab es dafür nur die Laserdiscs von Philipps, auf der man aber lediglich 25 Titel speichern konnte. "Und eine Disc kostete 5000 Schilling, der Player dazu 170.000!", erklärt Kremmel, der nach der Gründung des Klubs gleich in die Silvestershow 91/92 des ORF gebucht wurde, wo er mit Peter Rapp zusammen Can’t Help Falling in Love gesungen hat.
Für ihn war klar: "Karaoke fetzt, weil die Leute sich gerne produzieren. Und nicht zu unterschätzen der gesundheitliche Aspekt!" Sie hatten nämlich gleich zu Beginn einen Spastiker im Klub, "und nach einem Jahr Singen war er erscheinungsfrei. Der ist bis heute Alleinunterhalter, und man merkt ihm nicht mehr an, dass er mal Spastiker war."
Oder das halbe Dutzend Elvis-Impersonators, das bei ihnen im Karaokeklub angefangen hat und bis heute leidlich gut im Geschäft ist! Außerdem: "Der Christian Müller, ein Volksopernsänger – der kommt immer zu uns, wenn er Sinatra singen möchte." Oder: "Der Patrizio Buanne, ich weiß nicht, ob Ihnen der was sagt? Ein italienisch-österreichischer Bariton, der in Australien sehr erfolgreich ist und auch bei uns angefangen hat." Später verkaufte er fünf Millionen Tonträger.
Von Elvis bis Sinatra
Kremmel selbst singt Elvis, Dean Martin oder Frank Sinatra, die Klassiker. Da ist er freilich nicht der Einzige! Im Gegenteil gibt es viele, die auf Veranstaltungen mit Halbplayback auftreten, und anfangs hat er die dafür nötigen CDs sogar selbst importiert und an die Musiker weiterverkauft, die sie auf DAT (Digital Audio Tape) abspielten. "Wobei diese frühen Playbacks noch extrem aufwendig produziert wurden, während heute alles mit Minikeyboards eingespielt wird und auch so klingt." Mitglied im Klub wird man heute gegen neun Euro Mitgliedsbeitrag im Monat.
Der Vorteil? "Nichtmitglieder dürfen in einer Runde nur einmal singen, Mitglieder hingegen zweimal hintereinander." Wer würde da Nein sagen, wenn man an Que Sera, Sera gleich noch Something Stupid anhängen kann? Außerdem darf man sich gratis eine Karaokeanlage für Partys ausborgen, während Nichtmitglieder 120 Euro für 150 CDs plus Player, Mischpult und Mikro hinblättern müssen. "Die Anlage holt man ab, steckt sie ein und bringt sie wieder zurück."
Regeln? Braucht`s nicht!
Auf dem Computer hat Kremmel 80.000 Titel gespeichert, aber den borgt er nicht her, "weil dann zieht sich einer alle Titel herunter". Den nimmt er mit, wenn die große Anlage mit KJ (Karaoke Jockey) für 500 Euro gebucht wird, so wie neulich beim ÖBB-Fest, wo der eine oder andere Schaffner mit den Tönen etwas danebenlag, andererseits: "Die hatten auch richtig gute Sänger!" Ob sie den Bundesbahnblues sangen?
Regeln, sagt er, gibt es beim Karaoke nicht. Man blättert nach wie vor in den speckigen Ledermappen, die sehr aufwendig auf dem neuesten Stand zu halten sind, und sucht sich die Nummer aus, die man dem KJ nennt. Dann erscheint die Reihenfolge auf einem Bildschirm, und man bringt sich beim Warten in Schwung. "Um eins oder zwei ist dann meistens Schluss."
Externe Veranstaltungen unterliegen gewissen Schwankungen, nicht jedoch die Zeit, zu der sie im Klublokal jeden Freitag die Pizza bestellen: 20.40 Uhr. Und dort ist das Aufkommen konstant. Sie haben um die 800 Mitglieder, von denen immer circa 40 zu den Klubabenden kommen. Wobei erst im April mit Kurt, der keinen Freitag ausließ, ein besonders talentierter Saved by the Bell-Interpret gestorben ist. "Und der vor vier Jahren verstorbene Walter hat den G’schupften Ferdl gesungen – da haben die Leute getobt."
"Kommt jemand neu dazu, sagt er zum Beispiel: Ich bin der Hansi. Und dann wird er an der Hand genommen und zu einem Duett auf die Bühne geführt." Anfangs mag er furchtbar klingen wie die eine, bei der es ihnen während der ersten Versuche die Schuhe auszog, aber die singt längst in einer Band. "Singen ist halt auch eine Frage des Trainings!", sagt er. Ein bisserl anstrengend können die sein, die nicht einsehen, dass sie gar nicht singen können, andererseits: "Es ist Karaoke und keine Gesangsschule!" Neid und Missgunst unter den Darbeitern gibt es nicht, und während früher vorwiegend Beatles-Nummern gesungen wurden, trällert heute jeder Zweite I am from Austria oder STS. Aber auch an Motörhead, ZZ Top oder AC/DC wagen sich manche Feierabendfrontmen und -women.
Flucht aus dem Alltag
Manchmal, erzählt er, kommt der Ehepartner mit und sitzt teilnahmslos dabei, es gibt aber auch Ehefrauen, die den Abend als Flucht vor der täglichen Routine nützen: "Am Freitag kannst mich gernhaben, da gehst du karteln und ich Karaoke!" Andere kommen und "horchen nur zu", wie andere im Geschäft "nur schauen", bevor sie ab dem fünften Klubabend auftauen und dann nicht mehr zu stoppen sind. Die Schüchternen, die Forschen, die Angeber – Kremmel hat sie alle erlebt, "und 30 Prozent von den paar Tausend, die wir hier durchgeschleust haben, waren richtig gut".
Und was ist mit den Grölern und Säufern? "Die saufen und grölen, weil sie sich hier nicht wohlfühlen, darum kommen sie beim nächsten Mal schon nicht mehr." Was ihn nicht stört. Weil dann kann er öfter Elvis singen – und gleich darauf einen Sinatra.