Richard Lugner ist tot - über einen, der alles hatte und nichts

Am 12. August 2024 starb Richard Lugner. Ich habe ihn mehrmals interviewt und öfter in seiner Lugner-City getroffen, wenn ich auf dem Weg ins Café Weidinger war.


Man kann sagen, dass ich zwei Fixpunkte in meinem Leben habe – das Café Weidinger und die Lugner City, durch die ich jeden Tag gehe, wenn ich ins Café Weidinger will. Ich nehme dann den Westeingang des Einkaufszentrums und flaniere noch vor dem Aufsperren der ganzen Geschäfte (na gut, der Anker hat schon offen, aber bei dem kauf ich mir nix, weil ich mir ja im Weidinger gleich zwei Eier im Glas bestelle) Richtung Ostausgang, treffe dabei den ägyptischen Zeitungsverkäufer ("Habibi!") und fahre mit dem die Fahrtreppe hinunter, wo wir uns vor der Trafik trennen. Dann geht er nämlich zum Merkur, der auch schon offen hat, um sich eine Jause für den Tag zu holen, und ich eben ins Weidinger, um meine zwei Eier im Glas zu essen, es sei denn, er muss draußen auf der Gablenzgasse vor der Ordination des Dr. Parvis für eine ältere Dame in der Schlange anstehen, gegen ein kleines Trinkgeld vielleicht, weil es ja längst nicht allen hier in der Gegend so gut gegangen ist wie dem Herrn Baumeister.

Vorm Eingang zum Café Weidinger an der Ecke Gablenzgasse und Gürtel blicke ich dann hinauf zur sogenannten Spange, die er von seinem erweiterten Einkaufszentrum mit Kino über den Gürtel hat errichten lassen, um die Frequenz darin noch einmal zu erhöhen, und gewiss hätte er auch über die Gablenzgasse zum Weidinger hinüber gerne eine Spange errichtet, aber das Haus gehörte ihm halt nicht, anders als die Häuser daneben, von denen es heißt, dass sie alle ihm gehört hätten. Dort oben in der Spange saß er gerne in den eingemieteten Gastrolokalen, und dann schaute er vielleicht herunter zum Weidinger und fragte sich, wie Leute einfach glücklich sein konnten, indem sie im Kaffeehaus saßen und mehr oder weniger den ganzen lieben langen Tag gar nichts taten, während er sich abstrampelte – die Gulaschsuppe der Frau Weidinger, das ist verbürgt, hat ihm jedenfalls von allen kulinarischen Köstlichkeiten in der Gegend am besten geschmeckt.

Nach dem Frühstück im Weidinger ging ich dann wieder durch die Lugner nach Hause, da war es schon später am Vormittag und alle Geschäfte geöffnet, und der Chef ist oft schon unterwegs gewesen wie US-Präsidentschaftskandidaten aus den Swing-States im Vorwahlkampf: Immer in der Anzughose und im meist blauen Hemd im Sommer, im Winter auch mit Jackett. Es schien, als hätte er immer eine Idee gehabt, die mit Umsätzen und Rabatten zu tun hatte, oder eine Verkaufsfläche, die er neu zu vermieten hatte, weil die Geschäfte der alten Mieter schlecht liefen oder die Mieten vom Lugner ihnen zu hoch waren, man weiß es oft nicht.

Er ging da mit der Selbstverständlichkeit von einem, dem das alles hier gehört, aber auch mit der Freundlichkeit von einem, der die Menschen wirklich mochte, und das hieß in der Lugner: wirklich alle Menschen. Denn hier sammelte sich das multikulturelle Wien in stets friedlichem Nebeneinander, sogar wenn der Vilimsky hier Radau machte, flanierten verschleierte Damen durch, und ihre Kinder waren stolz auf ihre blauen Luftballons, man kann sagen, die Lugner war der vielleicht demokratischste Ort dieser Stadt, das kann der ägyptische Zeitungsverkäufer bestätigen.

Ich bin dann ein paar Mal in seiner Lugner mit dem Lugner auf einen Kaffee gegangen, nachdem ich ihn einmal groß für den STANDARD zu seinen Gewohnheiten vor dem Opernball interviewen durfte – in seinen Büroräumlichkeiten, wo er mich sehr freundlich empfangen und mir sehr umfassend Auskunft gegeben hat über den Event, der ihn auch über Baumeisterkreise hinaus berühmt gemacht hat. Ein gedämpft lebensfreudiger Mann saß mir gegenüber, dem das Zusammenleben nur mit der Bedienerin entschieden zu langweilig war, auch mit seinen 87, die er damals war, hatte er den Zug zum Tor, den Blick des Jägers, die Hoffnung, die nie stirbt.

So gerne, schien es, wäre er in seinem Leben möglichst lange möglichst glücklich gewesen, dafür fuhr er sogar einmal jährlich nach Leipzig zum Blutdoktor, der ihm sein Blut … "Na ja!" Was genau der mit seinem Blut machte, wusste er selbst nicht so genau, aber dass es ihn auf ewiglich jung und frisch halten würde, daran glaubt er mit kindlicher Zuversicht ebenso fest wie daran, dass die Claudia Cardinale auf ihn gestanden ist und ihn genommen hätte, nur wollte er halt keine Schauspielerin mehr in seinem Leben, nachdem er ja zuvor schon eine gehabt hatte.

Dass ich ausgerechnet zur Opernball-Stargastvorstellungspressekonferenz von der Melanie Griffith vor Ort sein durfte – ein angemessenes Theater mit Brötchen an der Bar und mit seiner geliebten Tochter Jacky, die alles, womit er sich nicht auskannte, perfekt für ihn organisierte – und er sie dabei ständig als ehemalige Frau von "John Donson" vorstellte, war vielleicht ein Highlight meines Lebens, während die Anwesenheit dieser Stars für ihn mehr oder weniger zur langweiligen Routine geworden war: Grace Jones, Paris Hilton, Ornella Muti ... Sie machten ihm alle letztlich gegen enormes Geld, das sie ihm aus der Tasche zogen, das Leben schwer, wenn sie in ihrem Hotelzimmer herumgeschissen haben mit Frisur und Schminke, während er schon längst in seiner Kutsche saß und abfahrbereit war.

Abfahrbereit vielleicht auch manchmal in Richtung eines Lebens, das er von seiner Spange über den Gürtel hinüber eher im Weidinger gefunden hätte, ohne das ganzen hustle and bustle, das er mit beeindruckender Konsequenz zu einem guten Teil für die Galerie und die Klatschspalten aufgeführt hat. Und die danken es ihm heute, wo auch er einsehen musste, dass das mit dem stets frischen Blut aus Leipzig nicht ewig funktionieren würde, mit Nachrufen und Würdigungen, die er alle redlich verdient.

Und wir herüben im Weidinger, die wir wieder den ganzen lieben langen Tag nichts tun werden, wünschen ihm, dass er da drüben im Jenseits, wo er gewiss auf einer Spange sitzt, immer ein Schüsselchen mit der hervorragenden Gulaschsuppe der Frau Weidinger kriegen wird. Denn mehr kann man im Himmel nicht erwarten.

(12.8.2024)

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